Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Urlaub nehmen und dich hier genauer umsehen.«
»Na gut.«
»Und nichts von ›wie, zum Teufel, können Sie die langen dunklen Winter überleben, wenn die Sonne sich nie blicken lässt‹.«
»Natürlich nicht.«
»Auch wenn sie selber darüber Witze machen.«
»Ja, ja.«
Rebecka hielt vor dem Glockenturm. Kein Probst. Sie wanderten über den Kiesweg zum Pfarrhaus. Rotes Holz, weiß abgesetzt. Hinter dem Haus der Fluss. Septemberniedriges Wasser. Torsten tanzte den Mückentanz. Niemand öffnete auf ihr Klingeln. Sie klingelten noch einmal und warteten. Am Ende drehten sie sich um und wollten gehen.
Durch das Tor im Zaun kam ein Mann auf sie zu. Er winkte und rief. Als er näher kam, sahen sie seinen Pastorenkragen.
»Hallo«, sagte er, als er sie erreicht hatte. »Sie sind sicher von Meijer & Ditzinger.«
Er hielt zuerst Torsten die Hand hin. Rebecka nahm die Sekretärinnenposition einen halben Schritt hinter Torsten ein.
»Stefan Wikström«, sagte der Geistliche.
Rebecka stellte sich vor, ohne ihren Beruf zu nennen. Sollte er doch denken, was er wollte. Sie musterte den Pastor. Er war Mitte vierzig. Jeans, Turnschuhe, dunkles Hemd mit weißem Pastorenkragen. Er kam also nicht gerade vom Gottesdienst. Aber trotzdem der Kragen.
So ein Rund-um-die-Uhr-Pastor, dachte Rebecka.
»Sie hatten einen Termin mit dem Probst Bertil Stensson«, sagte der Geistliche. »Leider ist er heute Abend verhindert, deshalb hat er mich gebeten, Sie zu empfangen und Ihnen die Kirche zu zeigen.«
Rebecka und Torsten murmelten eine Höflichkeitsfloskel und folgten ihm zu der kleinen roten Holzkirche. Das Dach roch nach Teer. Rebecka hielt sich im Kielwasser der beiden Männer. Der Pastor wandte sich beim Sprechen ausschließlich an Torsten. Torsten passte sich diesem Spiel an und sagte auch nichts zu Rebecka.
Es ist natürlich möglich, dass der Probst wirklich verhindert war, dachte Rebecka. Aber es kann auch heißen, dass er unser Angebot ablehnen will.
In der Kirche war es dunkel. Die Luft stand still. Torsten kratzte sich an zwanzig neuen Mückenstichen.
Stefan Wikström erzählte über die Holzkirche aus dem 18 . Jahrhundert. Rebecka ließ ihren Gedanken freien Lauf. Sie kannte die Geschichte des schönen Altarbildes und der unter dem Boden ruhenden Toten. Dann ging ihr auf, dass die Männer ihr Gesprächsthema gewechselt hatten, und nun hörte sie zu.
»Das muss doch für alle hier ein Schock gewesen sein.«
»Was denn?«, fragte Rebecka.
Der Pastor sah sie an.
»Ja, hier hat sie gehangen«, sagte er. »Meine Kollegin, die vor einigen Monaten ermordet worden ist.«
Rebecka starrte ihn fragend an.
»Vor einigen Monaten ermordet?«
Eine verwirrte Pause folgte.
»Ja, vor einigen Monaten«, sagte Stefan Wikström dann.
Torsten Karlsson starrte Rebecka an.
»Hör doch auf«, sagte er.
Rebecka sah ihn an und schüttelte fast unmerklich den Kopf.
»Hier in Kiruna ist vor einigen Monaten eine Pastorin ermordet worden. Hier in dieser Kirche. Hast du das nicht gewusst?«
»Nein.«
Er musterte sie beunruhigt.
»Du musst die Einzige in ganz Schweden sein, die…ja, ich bin davon ausgegangen, dass du das weißt. Das stand doch in allen Zeitungen. Und alle Nachrichtensendungen…«
Stefan Wikström folgte ihrem Gespräch wie einer Tischtennispartie.
»Ich habe diesen Sommer keine Zeitungen gelesen«, sagte Rebecka. »Und auch nicht ferngesehen.«
Torsten hob in einer Hilfe suchenden Geste die Hände.
»Ich dachte wirklich…«, setzte er an. »Aber natürlich, kein Idiot…«
Er unterbrach sich und schaute beschämt den Geistlichen an, dann erhielt er ein Lächeln zum Zeichen dafür, dass diese Sünde vergeben war, und fügte hinzu: »Sicher hat niemand mit dir darüber zu reden gewagt. Vielleicht möchtest du draußen warten? Oder hättest du gern ein Glas Wasser?«
Rebecka hätte fast gelacht. Dann überlegte sie sich die Sache anders, sie konnte sich nicht entscheiden, welche Miene sie aufsetzen sollte.
»Schon gut. Aber ich warte gerne draußen.«
Sie verließ die Männer in der Kirche und ging hinaus. Blieb auf der Kirchtreppe stehen.
Natürlich müsste ich etwas empfinden, dachte sie. Und vielleicht in Ohnmacht fallen.
Die Nachmittagssonne wärmte die Wand des Glockenturms. Sie hätte sich gern daran angelehnt, ließ es aber ihrer Kleidung zuliebe sein. Der Geruch des warmen Asphalts mischte sich mit dem des frisch geteerten Daches.
Sie überlegte, ob Torsten jetzt wohl Stefan Wikström erzählte, dass
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