Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
einen Afternoon-Tea. Inzwischen kommen sogar die Frauen aus der Stadt zu diesem Anlass nach Poikkijärvi. Frisch gebackene Scones und Marmelade, sieben Sorten Plätzchen. Am vergangenen Donnerstag hatte Mimmi mit strenger Stimme gerufen: »Wer hat in meine Plätzchen gebissen?« Teddy, der gerade mit einem kleinen Imbiss beschäftigt gewesen war, mit Broten und Milch, hatte blitzschnell aufgezeigt und sofort gestanden: »Ich war das.«
Der gesegnete Teddy, dachte Lisa.
Genau das hatte Mildred tausendmal gesagt.
Mildred. Als Lisas Härte geborsten war, war Mildred in sie hineingeströmt. Lisa war durch und durch kontaminiert worden.
Es ist erst drei Monate her, dass sie auf dem Ausziehsofa in der Küche gelegen haben. Das ergab sich oft so, wenn die Hunde das Bett besetzten, und Mildred bat: »Jag sie nicht weg, siehst du nicht, wie wohl sie sich da fühlen?«
Anfang Juni hat Mildred eigentlich alle Hände voll zu tun. Es gibt Schulabschlussfeiern, Konfirmationen, Feste von Kindergruppen, Jugendgruppen, kirchliche Feste und jede Menge Trauungen. Lisa liegt auf der linken Seite und stützt sich auf den Ellbogen. In der rechten Hand hält sie eine Zigarette. Mildred schläft, vielleicht ist sie auch wach oder irgendwo dazwischen. Ihr Rücken ist über und über behaart, bedeckt von weichem Flaum, der an ihrem Rückgrat wächst. Das ist ein zusätzliches Geschenk für die hundeverrückte Lisa, dass ihre Geliebte einen Rücken hat wie der Bauch eines Hundebabys. Oder wie eine Wölfin vielleicht.
»Was ist eigentlich mit dir und dieser Wölfin«, fragt Lisa.
Mildred hatte einen richtigen Wolfsfrühling. Sie hatte neunzig Sekunden in den Fernsehnachrichten und hat über Wölfe gesprochen. Es gab ein Benefizkonzert für die Stiftung. Sie hat sogar über die Wölfin gepredigt.
Mildred dreht sich auf den Rücken. Sie nimmt Lisa die Zigarette weg. Lisa malt Zeichen auf Mildreds Bauch.
»Ach«, sagt Mildred, und es fällt ihr hörbar schwer, diese Frage zu beantworten. »Frauen und Wölfe, das ist eben etwas Besonderes. Wir haben Ähnlichkeit miteinander. Ich sehe diese Wölfin an, und dann fällt mir ein, wozu wir geschaffen worden sind. Wölfe sind unglaublich geduldig. Denk doch nur daran, dass sie bei fünfzig Grad minus in Polargebieten und bei fünfzig Grad plus in der Wüste leben. Sie sind revierbewusst, sie verteidigen beinhart ihre Grenzen. Und sie ziehen weit und frei umher. Im Rudel helfen sie einander, sind loyal, lieben ihre Welpen über alles. Sie sind wie wir.«
»Du hast doch keine Welpen«, sagt Lisa und bereut das fast sofort, aber Mildred macht es nichts aus.
»Ich habe doch euch«, lacht sie. »Sie wagen es zu bleiben, wenn es sein muss«, setzt Mildred ihre Predigt fort. »Sie wagen es aufzubrechen, wenn es sein muss, sie wagen es, um sich zu beißen, wenn es nötig ist. Sie sind…lebendig. Und glücklich.«
Sie stößt Rauch aus, versucht, Ringe zu blasen, während sie überlegt.
»Es hat mit meinem Glauben zu tun«, sagt sie dann. »In der Bibel wimmelt es doch nur so von Männern mit wichtigen Aufträgen, die allem vorgehen müssen, Frau und Kindern und…ja, allem. Da hast du Abraham und Jesus und…mein Vater ist in seinem Amt als Pastor in ihren Fußstapfen gewandelt, das kann ich dir sagen. Meine Mutter war verantwortlich für Wohnung und Zahnarztbesuche und Weihnachtskarten. Aber für mich ist Jesus derjenige, der es Frauen gestattet, daran zu denken wegzugehen, wenn es sein muss, wie eine Wölfin zu sein. Und wenn ich verbittert und quengelig bin, dann sagt er zu mir: Schluss damit, sei lieber glücklich.«
Lisa zeichnet weiter auf Mildreds Bauch, ihr Zeigefinger läuft über Brust und Hüftknochen.
»Du weißt doch, dass sie sie hassen, oder?«, fragt sie.
»Wer denn?«, fragt Mildred zurück.
»Die Typen aus dem Ort«, sagt Lisa. »Die Jagdgesellschaft. Torbjörn Ylitalo. Zu Beginn der achtziger Jahre ist er wegen Wilderei verurteilt worden. Er hat unten in Dalarna einen Wolf erschossen. Seine Frau kommt doch von dort.«
Mildred setzt sich auf.
»Du machst Witze.«
»Ich mache keine Witze. Eigentlich hätte ihn das den Waffenschein kosten müssen. Aber du weißt ja, Lars-Gunnar war doch bei der Polizei. Und da die Polizeibehörden solche Entscheidungen treffen und Lars-Gunnar an den Strippen gezogen hat…wo willst du hin?«
Mildred ist vom Küchensofa aufgesprungen. Die Hunde kommen angestürzt. Sie glauben, dass sie jetzt nach draußen dürfen. Sie achtet nicht auf sie.
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