Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
er. Was für ein Wort. Routinefragen.
»Haben sie mit euch gesprochen?«, fragte er.
Die Frau, mit der Sven-Erik geredet hatte, antwortete.
»Ja, dieser große Bursche wollte die Buchführung der Wolfsstiftung sehen.«
Stefan erstarrte.
»Die hast du ihm doch wohl nicht gegeben? Sie sind nicht befugt…«
»Natürlich habe ich sie ihm gegeben. Darin stehen doch wohl keine Geheimnisse?«
Sie musterte ihn forschend. Er spürte auch die Blicke der anderen. Dann drehte er auf dem Absatz um und lief mit schnellen Schritten in sein Zimmer.
Sollte der Probst doch sagen, was er wollte. Jetzt musste Stefan mit ihm reden. Er wählte Bertils Nummer.
Der Probst saß gerade im Auto. Ab und zu war seine Stimme nicht zu hören.
Stefan erzählte, dass die Polizei im Pfarrbüro gewesen sei. Und die Buchführung der Stiftung mitgenommen habe.
Bertil wirkte nicht sonderlich erschüttert. Stefan sagte, da sie beide der Stiftungsleitung angehörten, sei kein formaler Fehler begangen worden, aber trotzdem.
»Wenn das an die Presse gerät, dann wissen wir doch, was die schreiben werden. Dann werden wir als Schmarotzer dargestellt.«
»Das kommt schon in Ordnung«, sagte der Probst gelassen. »Du, ich muss hier aussteigen, wir reden später weiter.«
Diese Gelassenheit verriet Stefan, dass der Probst ihm nicht den Rücken stärken würde, wenn die Sache mit der Reise in die USA an die Öffentlichkeit geriete. Er würde niemals zugeben, dass sie darüber gesprochen hatten. »Die Stiftung hat im Moment doch so viel Geld, von dem niemand etwas hat«, hatte der Probst selbst gesagt. Und dann hatten sie von einer Art kompetenzerweiternden Reise gesprochen. Sie gehörten dem Vorstand einer Stiftung zum Schutz wilder Tiere an, hatten aber keine Ahnung von Wölfen, weshalb sie beschlossen hatten, Stefan nach Yellowstone zu schicken. Und auf irgendeine Weise hatte es sich so ergeben, dass auch Kristin und die kleinen Jungen mitgekommen waren, denn damit hatte er sie zur Heimkehr aus Katrineholm bewegen können.
Zwischen den Zeilen hatte wohl gestanden, dass Mildred nicht erfahren sollte, dass das Reisegeld von der Stiftung stammte. Aber natürlich hatte eine von den Sekretärinnen der Versuchung, ihr sofort alles weiterzuerzählen, nicht widerstehen können.
Sie hatte ihn nach seiner Rückkehr von der Reise damit konfrontiert. Er hatte gelassen die Notwendigkeit erklärt, dass ein Angehöriger des Vorstandes sich Kenntnisse zulegte. Und da war er doch der Geeignete, er als Jäger und Waldläufer. Er konnte auf diese Weise doch Respekt und Verständnis erwecken, wie Mildred es in tausend Jahren nicht erlangen würde.
Er hatte mit einem Wutausbruch gerechnet. Ganz hinten in seinem Unterbewusstsein freute er sich fast darauf. Freute sich auf die rote Vorführung ihrer verlorenen Beherrschung vor dem tiefblauen Hintergrund seiner eigenen Ruhe und Besonnenheit.
Stattdessen hatte sie sich auf seinen Schreibtisch gestützt. Schwer, auf eine Weise, die ihm für einen Moment den Gedanken eingegeben hatte, sie leide an einer heimlichen Krankheit, etwas mit den Nieren oder dem Herzen. Sie hatte ihm ihr Gesicht zugekehrt. Weiß unter der Sonnenbräune des zeitigen Frühlings. Die Augen zwei schwarze Kreise. Ein albernes Stofftier mit Knopfaugen, das zum Leben erwacht, anfängt zu reden und einem plötzlich eine Heidenangst einjagt.
»Wenn ich vor Weihnachten mit dem Gemeindevorstand über die Pacht spreche, dann hast du dich zurückzuhalten, ist das klar?«, fragte sie. »Ansonsten kann die Polizei feststellen, ob das hier verboten war oder nicht.«
Er hatte zu sagen versucht, sie mache sich lächerlich.
»Du hast die Wahl«, hatte sie gesagt. »Ich habe nicht vor, dir in alle Ewigkeit alles durchgehen zu lassen.«
Er hatte verdutzt hinter ihr hergesehen. Wann hatte sie ihm denn etwas durchgehen lassen? Sie war doch wie eine Rute aus Brennnesseln.
Stefan dachte an den Probst. Er dachte an seine Frau. Er dachte an Mildred. Er dachte an die Blicke der Sekretärinnen. Plötzlich schien er die Kontrolle über seine Atmung verloren zu haben. Er keuchte wie ein Hund in einem Auto. Er musste versuchen, sich zu beruhigen.
Ich kann aus der Sache herauskommen, dachte er. Was mache ich denn bloß falsch?
Schon als Junge hatte er sich immer Freunde gesucht, die ihn unterdrückten und ausnutzten. Er war ihr Laufbursche, der ihnen seine Süßigkeiten aushändigte. Später musste er Reifen aufschlitzen und Steine werfen, um zu beweisen, dass der Sohn
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