Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Wasser fällt und das er auf den Boden ziehen und verschlingen kann. Das Mädchen weiß, dass sie dieses Kind ist. Der Vogelschatten über ihrem Gesicht ist der Vorspuk, der Guovsat, der Unglücksbote. Die Eltern sehen nur die Wolken am Himmel. Dem Jungen im Boot haben sie versprochen, dass er lenken darf, er will los.
Sie nehmen sich andere Bilder vor. Da ist Nasti im Hamsterkäfig. Bleistiftzeichnungen vom Elternhaus in Rensjön, drinnen und draußen.
Und sie stellen alle möglichen Fragen. Ester weiß nicht, was sie hören wollen. Und was soll sie sagen? Sie haben die Bilder doch vor der Nase, können also einfach hinschauen. Sie weigert sich, zu erklären und zu rechtfertigen, und deshalb antwortet sie nur noch einsilbig und wird immer langsamer.
Tante und Mutter stecken in ihrem Kopf und diskutieren.
Mutter: Natürlich will sie nicht über die Bilder reden. Man weiß doch selbst nicht genau, woher sie kommen. Und vielleicht will man das auch gar nicht wissen.
Tante: Weißt du, ab und zu muss man ein bisschen geben, wenn man etwas haben will. Sag was, Ester, du willst doch auf diese Schule. Sonst halten sie dich noch für irgendwie zurückgeblieben.
Sie schauen sich die vielen kackenden Hunde an. Kuratorin Gunilla Petrini hat ausgesucht, welche Bilder Ester einreichen sollte. Und ihr hatten die Hunde gefallen.
Da ist natürlich Musta, die übermütig mit den Hinterpfoten Schnee auf ihre Haufen scharrt Herkules, der Vorstehhund der Nachbarn. Ein straffer und ziemlich zackiger Jagdhund. Mit breiter Brust und krummer Nase. Aber wenn er kacken wollte, musste er sich aus irgendeinem Grund immer eine kleine Kiefer suchen. Er musste beim Kacken den Hintern an einen kleinen Baum pressen. Ester ist zufrieden damit, wie sie seine Züge gezeichnet hat, Genuss und Anstrengung gleichermaßen, wie er mit krummem Rücken über dem Bäumchen steht.
Und dann ein Bild, das sie einmal in Kiruna gezeichnet hat. Eine Frau, die ihren Pekinesen an der Leine zieht. Man sieht nur ihre Beine von hinten, sie sind ziemlich dick und in hochhackige Pumps gequetscht. Der Pekinese hat sich zum Kacken hingesetzt. Aber Frauchen scheint nicht mehr warten zu wollen, und jetzt zieht sie ihn weiter. Man sieht auch ihn von hinten, noch immer zum Kacken hingehockt, die Hinterpfoten hinterlassen Schleifspuren im Schnee.
Jetzt stellen sie eine Frage. In ihrem Kopf stupst die Tante sie ungeduldig an.
Aber Ester kneift die Lippen zusammen. Was soll sie sagen? Dass sie sich für Kacke interessiert?
Die Tante will wissen, wie es gelaufen ist. Woher soll Ester das wissen? Das ganze Gerede gefällt ihr nicht. Aber sie hat es versucht. Die Bilder von Nasti. Sie hat schon begriffen, dass sie darin eine tiefere Bedeutung sehen. Gefangenschaft. Der kleine Leichnam. Vaters Worte fallen ihr ein: Die sind so empfindlich, sagt sie. Im Gebirge können sie überleben, aber wenn sie zum Beispiel an unsere Erkältungsbazillen geraten … sie blicken sie forschend an, allesamt.
Jetzt kommt sie sich vor wie eine Idiotin. Hat das Gefühl, zu viel geredet zu haben. Obwohl die anderen finden, dass sie kaum ein Wort herausgebracht hat, das merkt sie ja.
Es ist total danebengegangen, das spürt sie jetzt. Nie im Leben wird sie an der Schule angenommen werden.
Ester Kallis stellte den leeren Topf neben ihr Bett. Jetzt musste sie hier sitzen und warten. Unsicher, worauf.
Das wird sich zeigen, dachte sie. Das ist wie Fallen. Es kommt von selbst.
Sie durfte die Lampe in ihrem Zimmer nicht einschalten. Durfte sich nicht bewegen.
Dort unten wurde jetzt gegessen. Wie eine äsende Rentierherde. Ohne zu ahnen, dass die Wolfsmeute sich näherte und den Fluchtweg abriegelte.
Pechschwarze Nacht draußen. Kein Mond. Ob sie die Augen öffnete oder schloss, machte kaum einen Unterschied. Ein wenig Licht von der Laterne unten fiel ins Zimmer.
Die Toten näherten sich. Oder näherte sie sich ihnen? Sie kannte mehrere von ihnen. Verwandte mütterlicherseits, denen sie nie begegnet war.
Und Inna. Nicht so weit fort, wie man meinen könnte. Vielleicht machte sie sich Sorgen um ihren Bruder. Aber da konnte Ester nicht viel tun. Sie musste an ihren eigenen Bruder denken.
Es war nicht lange her, dass Inna hier in Esters Zimmer gesessen hatte. Die Schwellung in ihrem Gesicht war langsam verschwunden. Die Blutergüsse hatten sich verfärbt, von Rot und Blau zu Grün und Gelb.
»Willst du nicht die Palette holen und mich malen?«, hatte sie gefragt. »Jetzt, wo ich so
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