Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
hört seiner Stimme an, dass sie schon zur Fremden geworden ist. Sie möchte gern erzählen, dass Stockholm gar nicht so schlecht ist. Dass der Herbst hier unten schön ist, mit Laubbäumen wie freundliche Riesen vor dem knallblauen Himmel. Die gelben Blätter, gröber als Esters Hand, ziehen mit trockenem Rascheln in Scharen durch die Straßen. Und in der Nähe ihrer Wohnung liegt ein kleiner Blumenkiosk, wo sie stehen und zusehen kann. Aber sie weiß, dass er das nicht hören will.
Und Mutter wirkt immer so beschäftigt. Ester weiß nicht, worüber sie reden soll, damit sie nicht das Gefühl hat, dass Mutter gleich auflegen wird.
Dann kommt der Winter. Wind und Regen in Stockholm. Die alten Damen sind nicht oft zu sehen. Ester malt eine Serie von Landschaften. Berge und Felder. Verschiedene Jahreszeiten mit ihrem Licht. Kuratorin Gunilla Petrini nimmt einige von ihnen mit nach Hause und zeigt sie ihren Freunden.
»Die sind aber einsam«, sagt jemand bei einem Fest.
Gunilla Petrini muss zustimmen.
»Ihre Zeichnungen sind anders. Aber sie hat keine Angst vor der Einsamkeit. Sie ist ganz entspannt, wenn es um die Kleinheit der Menschen vor Natur und Welt geht, versteht ihr? Sie ist auch als Mensch so.«
Sie zeigt einige Zeichnungen. Die anderen sehen, dass Ester eine tüchtige Zeichnerin ist. Und wie viele Künstler gibt es jetzt überhaupt? Ester scheint mit einer Zeitmaschine gekommen zu sein. Sie glauben, Gustaf Fjæstads Wasserspiegelungen vor sich zu sehen, Bror Lindhs Winterwälder. Und dann kommen sie wieder auf die Einsamkeit ihrer Gemälde zu sprechen.
»Sie hat keine Probleme mit dem Alleinsein«, sagt Gunilla Petrinis Mann.
»Das ist eine gute Eigenschaft für eine Künstlerin«, sagt jemand.
Sie reden über ihre Herkunft. Über die psychisch kranke Frau, die von einem anderen Patienten ein Kind bekam. Einem Inder. Von dem kleinen Mädchen mit dem indischen Aussehen, das in einer samischen Familie aufgewachsen ist.
Ein älterer Mann auf dem Fest mustert die Bilder, schiebt sich die Brille auf der Nase hin und her. Ihm gehört eine Galerie auf Söder, er ist bekannt dafür, dass er Künstler einkauft, ehe sie ihren großen Durchbruch haben. Besitzt mehrere Ola Billgrens und hat Karin Mamma Andersson billig gekauft. Hat bei sich zu Hause einen lächerlich großen Gerhard Richter an der Wand. Gunilla Petrini hatte einen Hintergedanken, als sie ihn für diesen Abend eingeladen hat. Sie füllt sein Glas ein weiteres Mal.
»Ihre Gebirgslinien sind interessant«, sagt er. »Immer gibt es einen Spalt oder einen Riss oder ein Tal oder eine Schlucht in der Landschaft. Seht ihr? Hier. Und hier.«
»Eine Welt dahinter«, sagt jemand.
»Narnia vielleicht«, versucht jemand zu scherzen.
Und damit steht es fest. Ester bekommt eine eigene Ausstellung in der Galerie. Gunilla Petrini könnte vor Freude in die Luft springen. Das wird Aufmerksamkeit erregen. Esters Alter. Ihre Herkunft.
REBECKA FUHR ALF BJÖRNFOT ZU dem Zimmer in der Köpmannsgata, in dem er übernachtete. Es hatte keinen Zweck, ins Bett zu gehen, er war noch nicht müde genug zum Schlafen. Außerdem war er ein wenig aufgekratzt. Der Besuch bei Rebecka Martinssons Nachbarn war angenehm gewesen. Er fühlte sich wie verwandt mit Sivving Fjällborg, der in seinen Heizungskeller gezogen war.
Deshalb fühlte er sich auch in seinem Zimmer in Kiruna so wohl, dort hatte er, was er brauchte, und nicht mehr. Darin lag eine Ruhe. In der Wohnung zu Hause in Luleå war das anders.
Seine Skier lehnten auf dem Flur an der Wand. Er konnte sie auch jetzt herrichten, dann könnte er morgen damit losziehen. Er legte sie mit der Lauffläche nach oben über zwei Stuhlrücken, legte Toilettenpapier darauf, übergoss es mit Wachsentferner, wartete drei Minuten und wischte sie dann ab.
Er hatte die Skier gewichst, die schmutzige Wäsche auf dem Sofa sortiert und den Abwasch erledigt, als plötzlich das Telefon klingelte.
Es war Rebecka Martinsson.
»Ich habe mir die Verkäufe von Kallis Mining in den letzten Monaten angesehen«, sagte sie.
»Bist du bei der Arbeit?«, fragte Alf Björnfot. »Musst du dich zu Hause nicht um einen Kater kümmern?«
Rebecka ignorierte diese Frage und redete weiter:
»Sie haben in kurzer Zeit eine Menge Minoritätsanteile von allerlei Projekten in aller Welt verkauft. Und in Colorado haben die Anklagebehörden eine Voruntersuchung gegen eine Tochtergesellschaft eingeleitet, Verdacht auf schwere Wirtschaftskriminalität. Die
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