Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Großmutter auffordernd anstarrt, die Großmutter soll zustimmen, als sie sagt:
»Oma kann dich nicht die ganze Zeit hier bei sich haben, und ich bin doch deine Mama.« Aber die Großmutter schweigt. Und Rebecka weiß, das bedeutet, dass Oma auf ihrer Seite ist.
Als Mama lange genug reizend gewesen ist, kippt alles plötzlich um.
»Dann lass es eben«, faucht sie Rebecka an. »Ich kann dir ja scheißegal sein!«
Und dann erzählt sie, dass sie seit Papas Tod Überstunden gemacht hat, damit Rebecka neue Winterjacken bekommt, und sie hätte eine Ausbildung anfangen können, wenn nicht diese Verantwortung wäre. Rebecka und die Großmutter schweigen und schweigen.
Sie schweigen noch lange, nachdem die Mutter gefahren ist. Rebecka leistet der Großmutter im Stall Gesellschaft. Hält den Kuhschwanz, während die Großmutter melkt. So wie sie es als kleines Kind getan hat. Sie schweigen. Aber als Mansikka plötzlich rülpst, müssen sie lachen.
Und danach ist alles fast wie immer.
Mama zieht weg. Für Rebecka kommen Karten mit Berichten, wie phantastisch auf Åland alles ist. Rebecka liest, und ihr Herz krampft sich vor Sehnsucht zusammen. Es steht kein Wort davon da, dass Mama sie vermisst. Oder dass sie sie überhaupt lieb hat. Da steht, dass sie mit dem Boot unterwegs waren, oder dass auf dem Grundstück Apfel- und Birnbäume stehen, oder dass sie Ausflüge gemacht haben.
Aber mitten im Sommer kommt ein Brief. Du bekommst eine Schwester oder einen Bruder, steht dort. Die Großmutter liest es auch. Sie sitzt mit Papas alter, an der Tankstelle gekauften Brille am Küchentisch.
»Jesus siunakhoon ja Jumala varjelkhoon«, sagt sie nach dem Lesen. Jesus möge uns segnen und Gott uns schützen.
Wer hat mir gesagt, dass sie tot war, überlegt Rebecka. Ich kann mich nicht erinnern. Ich habe so wenige Erinnerungen an diesen Herbst. Aber an gewisse Dinge erinnere ich mich doch.
Rebecka liegt im Klappbett im Küchenalkoven. Jussi liegt nicht zu ihren Füßen, denn die Großmutter und Sivvings Frau Maj-Lis sitzen am Küchentisch, und dann lagert Jussi unter dem Tisch. Wenn die Großmutter im Stall ist oder im Bett liegt, dann schleicht Jussi sich in Rebeckas Bett.
Maj-Lis und die Großmutter glauben, dass Rebecka schläft, aber das stimmt nicht. Die Großmutter weint. Sie hält sich dabei ein Küchenhandtuch vors Gesicht. Rebecka weiß, dass sie das Geräusch dämpfen will, Rebecka soll nicht aufwachen.
Sie hat ihre Großmutter noch nie weinen gesehen oder gehört, nicht einmal, als Papa gestorben ist. Das Geräusch macht ihr große Angst und ist ihr unheimlich. Wenn Oma weint, bricht die Welt zusammen.
Maj-Lis sitzt auf der anderen Seite des Tisches und murmelt tröstend.
»Ich glaube nicht, dass es ein Unfall war«, sagt die Großmutter. »Der Fahrer sagt, dass sie ihn angesehen hat und dann auf die Straße gelaufen ist.«
»Es muss hart gewesen sein, schon so früh beide Eltern zu verlieren«, sagte Alf Björnfot.
Sivving stand noch immer am Kühlschrank. Hielt zweifelnd die Eier in der Hand.
Wenn ich an die Zeit danach denke, dann schäme ich mich, dachte Rebecka. Ich wünschte, ich hätte die richtigen Bilder im Kopf. Ein kleines Mädchen an einem Grab, mit Tränen auf der Wange und Blumen auf dem Sarg. Zeichnungen von Mama im Himmel oder was auch immer. Aber ich war ganz kalt.
Rebecka, sagt die Lehrerin.
Wie hieß sie doch gleich? Eila!
»Rebecka«, sagt Eila. »Du hast ja schon wieder keine Matheaufgaben gemacht. Weißt du nicht mehr, worüber wir gestern gesprochen haben? Weißt du nicht mehr, dass du versprochen hast, von jetzt an Aufgaben zu machen?«
Eila ist lieb. Sie hat Locken und ein hübsches Lächeln.
»Ich versuche es«, sagt Rebecka. »Aber dann denke ich nur daran, dass Mama tot ist. Und dann kann ich nicht.«
Sie starrt ihren Tisch an, und es soll so aussehen, als ob sie weint. Aber sie tut nur so.
Eila verstummt und fährt ihr über die Haare.
»Ja, ja«, sagt sie. »Den Unterrichtsstoff kannst du früher oder später bestimmt aufholen.«
Rebecka ist zufrieden. Sie hat keinen Bock auf Mathe. Und jetzt bleibt ihr das erspart.
Ein andermal: Sie hat sich in Omas Holzschuppen versteckt. Die Sonne sickert durch die Ritzen in der Wand. Dünne Vorhänge aus Staub, die so aussehen, als ob sie im Licht nach oben stiegen.
Sivvings Tochter Lena und Maj-Lis rufen: »Rebecka!« Sie gibt keine Antwort. Sie will richtig gesucht werden. Ist sauer und enttäuscht, als die Rufe
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