Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
kleinen Naturbilder hätten ihn gänzlich unberührt gelassen.
So äußern sich alle. Ester Kallis ist ein Kind. Was ist der Zweck dieser Ausstellung? Eine Kritikerin stellt diese Frage dem Galeristen und Gunilla Petrini. Sie schreibt, dass Ester Kallis nicht das junge Genie sei, für das die beiden sie halten, und dass leider Ester den Preis für diese Geltungssucht bezahlen muss.
Gunilla Petrini rief Ester an dem Tag an, als die erste Kritik erschienen war.
»Scher dich nicht darum«, sagte sie. »Überhaupt rezensiert zu werden ist gut, viele schaffen nicht einmal das. Aber wir reden bei einer besseren Gelegenheit darüber. Kümmer dich jetzt um deine Mutter. Und grüß von mir.«
»Was hältst du davon«, sagt die Tante und zitiert laut aus einer Rezension. »Da steht, dass Ester Kallis ›unter Samen aufgewachsen‹ sei. Was soll das nun heißen? Klingt wie Mowgli, aufgewachsen unter Wölfen, kann aber nicht selbst Wolf werden, das ist eben eine Rassenfrage.«
Die Mutter sieht Ester mit ihrem fremden, ausdruckslosen Gesicht an, gibt sich Mühe, die Wörter zu finden.
»Das ist gut«, sagt sie knapp. »Dass du keinen samischen Namen hast, dass du nicht samisch aussiehst. Verstehst du? Wenn sie gewusst hätten, dass du Samin bist, hätten sie nicht gewagt, dich herunterzumachen. Dann wären deine Bilder …«
»… gut für ein Lappenmädchen«, fügt die Tante hinzu.
Aber die Mutter will eine bessere Erklärung liefern:
»… Ausdruck unserer exotischen Kultur, keine echte Kunst. Du würdest niemals mit den gleichen Maßstäben gemessen werden. Es wäre vielleicht ein kleiner Vorteil, für den Anfang. Ein wenig Gratisaufmerksamkeit. Aber so kommt man nicht weiter …«
»Als bis Luleå«, sagt die Tante und wühlt in ihrer Tasche nach den Zigaretten, bald muss sie auf den Balkon und eine rauchen.
»Vielleicht finden sie, dass sie unsere Kunst nicht richtig beurteilen können. Vielleicht werden deshalb die Mittelmäßigen genauso bewertet wie die Besten. Das ist gut für die Mittelmäßigen, aber du …«
»… musst dich mit den Besten messen«, sagt die Tante.
»Für mich wurde das zum Käfig. Niemand fand jemals, dass meine Sachen für andere Leute als Touristen oder eben Samen interessant sein könnten.«
Sie betrachtet Ester. Ester kann ihren Blick nicht deuten.
»Du hast viel von unserer Großmutter«, sagt sie.
»Das weiß ich«, sagt die Tante. »Genau wie áhkku. Das habe ich immer schon gesagt.«
Hinter sich hört Ester, wie die Tante zu weinen anfängt.
»Zu Hause in Rensjön«, sagt die Mutter. »Ich weiß noch, wie oft ich dich angesehen habe. Wie du dich bewegt hast. Wie du mit den Tieren umgehen konntest. Ich dachte. Herrgott, genau wie meine liebe Großmutter. Aber der bist du ja niemals begegnet.«
Ester weiß nicht, was sie antworten soll. In ihren frühesten Erinnerungen sind immer zwei Frauen in der Küche. Und die andere ist nicht die Tante, das weiß sie immerhin. Die Tante trägt keine Jorba und auch kein vorn geknöpftes geblümtes Kleid und keine Schürze.
Dann stirbt Mutter. Nicht sofort nach diesem Gespräch, eine Woche später ist es vorbei. Und Vater und Antte holen sie zurück. Als Tote gehört sie nur ihnen. Anttes Mutter, Vaters Frau. Ester darf bei der Erbauseinandersetzung nicht dabei sein. Die Tante auch nicht.
Nach dem Beerdigungskaffee kommt es zwischen Vater und Tante zum Streit. Ester hört sie durch die Tür der Gebetshausküche.
»Das Haus ist zu groß für mich und den Jungen«, sagt der Vater. »Und was soll ich mit dem Atelier?«
Er erzählt, dass er alles verkaufen wird. Auch die Rentiere. Ein Kumpel von ihm besitzt eine Hüttenstadt bei Narvik. Der Vater und Antte können sich dort einkaufen und für ihn arbeiten.
»Und Ester?«, faucht die Tante. »Wo soll die hin?«
»Für sie ist doch gesorgt«, wehrt der Vater ab. »Sie geht doch auf diese Kunstschule. Was soll ich denn machen? Ich kann ja wohl nicht mit ihr nach Stockholm ziehen. Oder ihr zuliebe alles hier behalten. Ich war auch nicht älter als sie, als ich auf eigenen Füßen stehen musste.«
Abends zu Hause in Rensjön, als sie vor dem Fernseher sitzen, der Vater, die Tante, Antte und Ester, zieht er seine Brieftasche heraus, streift das Gummiband ab, nimmt zwanzig Fünfhundertkronenscheine heraus und gibt sie Ester.
»Du kannst ja im Atelier nachsehen, ob du etwas mitnehmen willst«, sagt er.
Er rollt Esters Scheine auf. Zieht das Gummiband darüber.
»Verdammt«, sagt die Tante
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