Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
du Regla? Dahin werde ich niemals zurückkehren. Verstehst du nicht?«
»Was hast du vor?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wer du bist. Der Journalist Örjan Bylund …«
»Ja, aber du glaubst doch wohl nicht, dass ich damit etwas zu tun habe?«
»Du lügst«, sagt sie müde. »Ich habe doch gesagt, dass du nicht lügen sollst.«
Er hört ein deutliches Klicken, als sie auflegt. Es klang wie … es klang wie eine altmodische Telefonzelle. Wo zum Teufel kann sie stecken?
Er muss klar denken. Das hier kann ein richtig böses Ende nehmen. Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, dann …
Er sieht eine Bilderserie vor sich. Wie er in der westlichen Welt zur persona non grata wird. Kein Investor will noch mit ihm zusammen genannt werden. Schlimmere Bilder: Ermittlungen, bei denen Interpol sich einschaltet. Er vor dem Gerichtshof für Menschenrechte.
Es hat keinen Zweck, die Schritte zu bereuen, die man früher gemacht hat. Die Frage ist, was jetzt zu tun ist.
Wo ist sie? In einer Telefonzelle?
Wenn er zurückdenkt, dann hört er im Hintergrund etwas …
Hunde! Einen Chor aus heulenden, bellenden Hunden. Schlittenhunde. Ein Hundegespann unmittelbar vor dem Aufbruch.
Und nun weiß er genau, wo sie ist. Sie ist in das Haus der Gesellschaft in Abisko gefahren.
Vorsichtig legt er auf. Jetzt will er Diddi nicht wecken. Dann hebt er den Hörer wieder hoch und wischt ihn mit einem Stück von Diddis Laken ab.
Ester schob den leeren Makkaronitopf unter das Bett. Sie zog die schwarzen Kleider an, die sie bei der Beerdigung der Mutter getragen hatte, ein Polohemd und eine Hose aus einem billigen Kaufhaus.
Die Tante hatte auf einem Rock bestanden, hatte aber nicht diskutieren wollen. Ester war stiller gewesen als sonst. Und das nicht nur aus Trauer. Sondern auch aus Wut. Die Tante hatte versucht zu erklären. »Sie hat uns gebeten, dir nichts zu sagen. Du solltest für deine Ausstellung malen. Nimm dir das nicht zu Herzen. Sie hat uns wirklich verboten, etwas zu sagen.«
Also sagten sie nichts. Bis es sich nicht mehr verschweigen ließ.
Es ist die Vernissage von Esters Ausstellung. Viele Menschen, die Punsch trinken und Pfefferkuchen essen. Ester begreift nicht, wie sie sich noch dazu die Bilder ansehen können, aber das ist vielleicht auch nicht der Sinn der Sache. Sie wird von zwei Zeitungen interviewt und fotografiert.
Gunilla Petrini zieht sie mit sich, um sie allerlei wichtigen Menschen vorzustellen. Ester trägt ein Kleid und kommt sich komisch vor. Als die Tante das Lokal betritt, freut sie sich.
»Das ist doch Wahnsinn«, flüstert die Tante beeindruckt und sieht sich um.
Dann schneidet sie eine Grimasse, als ihr aufgeht, dass der Punsch alkoholfrei ist.
»Hast du mit Mutter gesprochen?«, fragt Ester.
Und das Gesicht der Tante verändert sich. Ein Zögern, vielleicht weicht ihr Blick auch aus, jedenfalls fragt Ester jetzt:
»Was ist los?«
Und sie will, dass die Tante sagt: Nichts.
Aber die Tante sagt:
»Ich muss mit dir reden.«
Sie gehen in eine Ecke des Saales, in der es nicht von Leuten wimmelt, die Wangen küssen und Hände schütteln und ab und zu einen flüchtigen Blick auf Esters Bilder werfen, und es ist ziemlich laut und heiß, und Esters Antennen können nur einen Teil vom Gerede der Tante auffangen.
»Du hast ja gemerkt, dass ihr Dinge hinfallen … und dass sie den Pinsel nicht mehr halten kann, dass du die Grundierung auftragen musstest … wollte nicht, dass du es weißt, jetzt, mit der Ausstellung und allem … Muskelkrankheit … am Ende die Lunge … bekommt keine Luft mehr.«
Und Ester will fragen, warum, warum niemand etwas gesagt hat. Die Ausstellung! Wie hat irgendwer glauben können, sie interessiere sich für die verdammte Ausstellung!
Mutter stirbt am zweiten Weihnachtstag.
Ester hat sich verabschiedet. Sie und die Tante haben wie besessen im Haus in Rensjön geputzt und sind danach zum Krankenhaus in Kiruna gefahren. Ester versucht, hinter der starren Maske, die die Krankheit aus ihr gemacht hat, eatnážan zu finden. Die Muskeln unter der Haut bewegen sich nicht mehr.
Mutter kann sprechen, aber sie nuschelt, und sie wird sehr schnell müde. Sie will wissen, wie die Vernissage gelaufen ist.
»Die haben doch keine Ahnung«, faucht die Tante.
Es hat einige wenige Rezensionen gegeben. Die waren nicht gut. Unter der Überschrift »jung, jung, jung« hat ein Kritiker mitgeteilt, dass Ester Kallis für ihr Alter zwar tüchtig sei, aber nichts zu sagen habe. Ihre
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