Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
sie sich einen Lammfellmantel zugelegt hatte, dachte Rebecka und grinste bei dieser Erinnerung. Die Leute im Ort knirschten mit den Zähnen und fragten sich, wieso sie sich für etwas Besonderes hielt.
Was zum Henker hatte sie eigentlich in Papa gesehen? Sie hatte vielleicht geglaubt, sich nach einem sicheren Hafen zu sehnen. Aber dafür war sie nicht geschaffen. Mama hätte noch den letzten Segelfetzen hissen und mit wehenden Haaren in den Sturm hinausfahren müssen. Das Hafenleben war nicht das Richtige für sie gewesen.
Rebecka versuchte sich daran zu erinnern, wie es gewesen war, als die Mutter die Familie verlassen hatte.
Der Vater war zurück zur Großmutter nach Kurravaara gezogen. Er wohnte im Erdgeschoss und ich oben bei Oma, ich bin zwischen den Etagen hin- und hergerannt. Und Jussi. Er war ein kluger Hund. Kaum war ich eingezogen, sah er seine Chance, was seinen Schlafplatz anging. Er legte sich in meinem Bett ans Fußende. Oma duldete keine Hunde auf ihren Möbeln. Aber was sollte sie machen? Das Mädel schlief gut und geborgen mit dem Hund im Bett, plauderte mit ihm, während die Großmutter zum abendlichen Melken im Stall war.
Mama machte im Schlafwagen die Betten und wurde dann in den Speisewagen befördert. Sie zog von unserer Dreizimmerwohnung in der Stadt in eine mit zwei Zimmern. Ich muss doch auch da gewohnt haben, schließlich ist Papa dann gestorben, aber daran kann ich mich nicht erinnern.
Und die Erinnerungen, die man so hat, dachte Rebecka. Helfen die wirklich? Es sind doch nur einige wenige Bilder in einem Album in unserem Kopf. Zwischen den Szenen, an die wir uns erinnern, gibt es Hunderte, Tausende von Szenen, die wir vergessen haben. Und können wir uns dann an die Wahrheit erinnern?
Oma in Mamas Zweizimmerwohnung. Sie trägt ihren guten Mantel, aber Mama schämt sich trotzdem, meint, Oma müsse sich einen neuen kaufen. Das hat sie Rebecka gesagt. Aber jetzt ist Mama diejenige, die sich schämen muss. Oma schaut sich um. Von dort, wo sie steht, sieht sie ins Schlafzimmer. In Rebeckas Bett gibt es kein Bettzeug. Mamas Bett ist nicht gemacht. Mama ist die ganze Zeit schrecklich müde. Sie hat bei der Arbeit angerufen und sich krankgemeldet. Es ist schon einige Male passiert, dass Oma gekommen ist und die ganze Wohnung geputzt hat. Sie hat gespült, Wäsche gewaschen und gekocht. Aber diesmal ist das anders.
»Ich nehm die Kleine mit«, sagt die Großmutter.
Mama widerspricht nicht, aber als Rebecka sie zum Abschied umarmen will, schiebt die Mutter sie weg.
»Beeil dich jetzt«, sagt sie, ohne Rebecka anzusehen. »Oma hat auch nicht den ganzen Tag Zeit.«
Rebecka mustert ihre Füße, als sie die Treppe hinuntergeht. Bum, bum. Die Füße sind schwer. Sind groß wie Felsblöcke. Sie hätte Mama ins Ohr flüstern müssen: »Dich hab ich am liebsten.« Manchmal hilft das. Rebecka sammelt gute Dinge, die sie sagen kann. »Du bist genauso, wie eine Mama sein soll.« – »Kattis Mutter riecht nach Schweiß.« Sie lange ansehen und sagen:
»Du bist so fein.«
Ich werde Sivving bitten zu erzählen, dachte Rebecka. Er hat sie beide gekannt. Und ehe ich mich’s versehe, ist auch er nicht mehr da, und dann gibt es niemanden mehr, den ich fragen kann.
Sie öffnete das Notebook. Inna Wattrang auf einem weiteren Bild. Jetzt mit Helm auf dem Kopf vor einer Zinkgrube in Chile.
Seltsamer Job, dachte Rebecka. Sich mit Toten bekannt machen.
Montag, 17. März 2005
REBECKA MARTINSSON TRAF Anna-Maria Mella und Sven-Erik Stålnacke um halb acht Uhr am Montagmorgen im Besprechungszimmer des Polizeigebäudes.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Anna-Maria als Erstes. »Hast du gestern Abend noch ferngesehen?«
»Nein«, sagte Rebecka. »Du vielleicht?«
»Nein, ich bin gleich eingeschlafen«, sagte Anna-Maria.
In Wirklichkeit hatten sie und Robert vor dem Fernseher ganz andere Dinge gemacht, aber das ging niemanden etwas an.
»Ich auch«, Rebecka log ebenfalls.
Sie hatte bis halb drei Uhr nachts Informationen über die Kallis-Mining-Gruppe und Inna Wattrang durchgesehen. Als ihr Mobiltelefon sie um sechs Uhr geweckt hatte, hatte sie die vertraute leichte Übelkeit verspürt, die sich bei Schlafmangel immer einstellte.
Das spielte keine große Rolle. Eigentlich spielte es überhaupt keine Rolle. Ein bisschen Schlafmangel war ja wohl nicht der Rede wert. An diesem Tag hatte sie einen dicht gedrängten Stundenplan, zuerst musste sie Anna-Maria und ihren Kollegen informieren, dann kamen die
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