Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
großer Teil von meinem Leben. Wenn es tabu ist, sie zu erwähnen, kann ich überhaupt nichts mehr sagen.
Robert hatte den Küchentisch abgeräumt und sogar abgewischt. Sie machte unter der Mikrowelle Fischstäbchen und Kartoffelpüree heiß und trank dazu ein Glas Rotwein. Freute sich darüber, dass das Kartoffelpüree richtig aus Kartoffeln gestampft worden war. Spürte, dass sie das beste Leben hatte, das irgendwer sich wünschen konnte.
DOCH, DACHTE REBECKA Martinsson, als sie in Kurravaara aus ihrem Auto stieg. Ich bin wirklich Superwoman. Ich war eine von Schwedens besten Juristinnen. Jedenfalls war ich auf dem Weg dahin. Aber das kann ich ja niemandem sagen. Ich darf es nicht einmal denken.
Sie hatte in ihr Notebook Informationen über Kallis Mining heruntergeladen. Es würde ihr wirklich Spaß machen, glaubte sie. Etwas anderes als die ewigen Verkehrsvergehen und Diebstähle und Körperverletzungen.
Das Mondlicht lag wie gepinseltes Silber auf der blanken Schneekruste. Und auf dem Silber lagen die blauen Schatten der Bäume. Der Fluss schlief unter dem Eis.
Sie legte eine Wolldecke über die Windschutzscheibe und klemmte sie in den Autotüren fest, um nicht am nächsten Morgen das Fenster freikratzen zu müssen.
Hinter den Fenstern des grauen Eternithauses, das früher ihrer Großmutter gehört hatte, brannte Licht. Sie konnte sich fast einbilden, dass jemand im Haus sie erwartete, aber das Licht hatte sie selber brennen lassen.
Einst waren sie hier, dachte sie. Papa und Großmutter. In diesen Jahren hatte ich alles. Und das ist mehr, als viele haben. Manche haben nie etwas.
Sie blieb stehen und lehnte sich ans Auto. Die Trauer überkam sie. Wie ein Wesen, das auf sie gewartet hatte, darauf, dass sie aus dem Auto ausstieg. Das war immer so. Immer war sie vollständig unvorbereitet.
Warum kann ich nicht froh sein, überlegte sie. Froh darüber, dass ich sie immerhin so lange hatte. Nichts dauert ewig. Herrgott, es ist so lange her. Man kann nicht in alle Ewigkeit trauern. Mit mir stimmt doch etwas nicht.
Sie hörte die Worte ihrer Therapeutin: »Vielleicht haben Sie niemals richtig getrauert, vielleicht wird es jetzt Zeit.«
Wie gut, dass sie die Gesprächstherapie abgebrochen hatte. Aber sie vermisste das Cipramil, vielleicht hätte sie nicht aufhören sollen. Sie war mit diesen Gedanken leichter fertig geworden, als sie die Medizin noch genommen hatte. Damals waren die schwierigen Gefühle sozusagen nicht an die Oberfläche gestiegen. Und es war schön gewesen, nicht zerbrechlich zu sein wie eine Eierschale.
Sie zog den einen Handschuh aus und fuhr sich mit der Hand über die Augen, nein, sie weinte nicht. Es war nur ihr Atem. Als wäre sie sehr schnell gelaufen. Eiskalte Luft in der Lunge.
Ganz ruhig jetzt, mahnte sie sich. Ganz ruhig jetzt. Nicht zu Sivving und Bella rennen, die können dir auch nicht helfen.
Sie dachte, dass sie ins Haus gehen müsste, aber sie blieb stehen und wusste nicht, ob sie die Autotür schon abgeschlossen hatte, ob sie irgendwo eine Handtasche hatte und zu welchem Schloss der Schlüssel in ihrer Hand gehörte.
Das geht vorüber, sagte sie sich. Du wirst dich nicht in den Schnee legen. Es geht immer vorüber.
Aber diesmal nicht, erwiderte eine Stimme in ihr. Jetzt kommt die Dunkelheit.
Was sie in der Hand hatte, war der Autoschlüssel. Sie schloss ab. Sie schaffte es, die Computertasche und die Aktentasche von Mulberry aufzuheben, sie lagen vor ihren Füßen. Sie ging auf das Haus zu.
Als sie die Treppe hochstieg, nahm sie eine Faust voll Schnee vom Geländer und presste sie gegen ihr Gesicht. Der Hausschlüssel lag in der Computertasche. Rein ins Schloss. Umdrehen. Raus mit dem Schlüssel. Öffnen.
Sie war drinnen.
Eine halbe Stunde später ging es ihr viel besser. Sie hatte im Kamin Feuer gemacht, hörte, wie das Feuer gewissermaßen Anlauf nahm, wie es im Schornstein zog und im Holz knisterte.
Eine Tasse Tee mit Milch. Mit dem Notebook auf dem Schoß auf das Ausziehsofa.
Sie versuchte, alle Gedanken zu denken, die sie vor dem Anfall gehabt hatte. Jetzt war das überhaupt kein Problem mehr. Die schwierigen Gefühle ließen sich nicht hervorrufen, nicht einmal, wenn sie sich Mühe gab.
Und sie gab sich Mühe. Spielte ihre höchste Karte aus. Mama sollte in ihrem Kopf Gestalt annehmen.
Aber es passierte nicht viel. Rebecka sah ihre Mutter vor sich. Die hellgrauen Augen, die duftende Schminke, die elegante Frisur, die weißen, ebenmäßigen Zähne.
Und wie
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