Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
ich vorgeschlagen hatte. Es muss trotzdem gehen. Es gibt nichts, woran wir die Sicherungsleine befestigen könnten. Aber ich halte sie fest, und wir vergewissern uns beide, dass sie richtig an seinem Bleigürtel befestigt ist.
Er leuchtet mit der Taschenlampe seine Hand an. Zeigt auf mich. Zeigt gerade nach unten. Bleib hier, bedeutet das. Dann hebt er alle Finger dieser Hand zweimal. Zehn Minuten.
Ich leuchte meine Hand an und hebe den Daumen. Dann werfe ich Simon vom Atemregler aus eine Kusshand zu.
Er schiebt die Arme durch das Fensterloch, packt mit den Händen die Rückenlehne des einen Pilotensitzes und zieht sich geschmeidig in das Flugzeug hinein.
Jetzt muss er sich vorsichtig bewegen.
Um so wenig Schlamm wie möglich aufzuwühlen.
Ich sehe Simon im Flugzeug verschwinden. Dann schaue ich auf die Uhr. Zehn Minuten, hat er angezeigt.
Mir kommen Gedanken, die ich energisch verdränge, als sie versuchen, in meinem Bewusstsein Gestalt anzunehmen. Zum Beispiel der Gedanke daran, was in einem alten Wrack, das seit über sechzig Jahren auf dem Seegrund liegt, passieren kann, wenn man hineinschwimmt und plötzlich Bewegung im Wasser erzeugt. Allein die ausgeatmete Luft kann reichen, um Gegenstände loszulösen. Etwas kann auf ihn fallen. Er kann sich einklemmen. Unter einem schweren Gewicht. Was, wenn das passiert und ich ihn nicht herausholen kann? Wenn die Luft zu Ende geht, soll ich mich dann selbst retten und nach oben schwimmen? Oder hier in der Finsternis mit ihm zusammen sterben?
Nein, nein. So darf ich nicht denken. Es wird supergut gehen. Verdammt gut. Und nächstes Mal bin verdammt noch mal ich diejenige, die ins Flugzeug schwimmen darf.
Ich, leuchte ein wenig mit der Taschenlampe hin und her. Aber die reicht in der Dunkelheit nicht sehr weit. Außerdem haben wir jede Menge Schlamm aufgewühlt, und die Sicht ist jetzt richtig schlecht. Schwer, sich vorzustellen, dass dort oben, eigentlich gar nicht weit entfernt, nur einige Meter, die Sonne über dem funkelnden Eis leuchtet.
Dann merke ich, dass die Sicherungsleine, die zwischen mir und dem Holzkreuz oben über dem Loch verläuft, schlaff in meiner Hand liegt.
Ich ziehe daran, um sie wieder anzuspannen. Aber sie spannt sich nicht an. Ich hole die Leine ein. Einen Meter, zwei Meter.
Drei.
Hat sie sich vom Holzkreuz gelöst? Wir hatten sie doch sorgfältig angebunden.
Ich ziehe immer schneller. Jetzt habe ich das andere Ende in der Hand. Ich sehe es an. Starre es an.
Herrgott, ich muss nach oben und sie befestigen. Wenn Simon aus dem Flugzeug kommt, haben wir keine Zeit, unter dem Eis umherzuschwimmen und das Loch zu suchen.
Ich lasse etwas Luft in den Trockenanzug, sodass ich langsam nach oben steige. Aus der Finsternis, durch das Dunkle, es wird heller. Das Seil halte ich in der Hand.
Ich halte Ausschau nach dem Loch, dort müsste Licht durch das Eis fallen, aber ich sehe es nicht.
Stattdessen sehe ich einen Schatten. Ein schwarzes Rechteck.
Etwas liegt über dem Loch. Ich schwimme hinüber. Das Holzkreuz ist verschwunden. Statt seiner liegt eine Tür über dem Loch. Sie ist grün. Aus schlichten Brettern gezimmert, mit einem Querholz darüber. Eine Tür aus einem Schuppen oder einer Scheune.
Eine Sekunde lang denke ich, dass diese Tür irgendwo herumgelegen hat und vom Wind hierhergeweht worden ist. Aber kaum habe ich das gedacht, da weiß ich auch schon, wie falsch dieser Gedanke ist. Da oben ist es ein windstiller, sonniger Tag. Wenn eine Tür über dem Loch liegt, dann, weil jemand sie dorthin gelegt hat. Und was kann das für ein Witzbold sein?
Ich versuche mit beiden Händen, die Tür zur Seite zu schieben. Leine und Taschenlampe habe ich losgelassen, sie sinken langsam zum Grund hinab. Die Tür lässt sich nicht bewegen. Mein heftiger Atem dröhnt in meinen Ohren, als ich mich vergeblich mit der Tür abmühe. Ich begreife, dass der Witzbold darauf steht. Jemand steht auf der Tür.
Ich schwimme von der Tür weg und ziehe mein Tauchermesser. Fange an, ein Loch ins Eis zu hacken. Das ist schwer. Das Wasser macht meine Bewegungen langsam. Meine Stöße haben keine Kraft. Ich bohre mit dem Messer, hacke. Am Ende stoße ich durch. Dann geht es leichter, ich lasse das Messer im Loch rotieren, kratze mit der Klinge an den Seiten. Das Loch wird größer.
Simon schwimmt im Wrack so vorsichtig er kann. Er hat den Platz des Funkers hinter dem Cockpit passiert und befindet sich jetzt in der Kabine. Er glaubt, ein leises Rucken am Seil zu
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