Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
»Das Schlimmste, was passieren kann, ist Luftverlust, wenn der Atemregler vereist. Die Gefahr ist gleich unter der Oberfläche am größten.«
»Okay.«
»Aber es kann auch da unten passieren. Bei solchen Bergseen weiß man nie. Es kann irgendwo eine Bachmündung geben, die Strömung erzeugt. Und dann kann die Temperatur unter null liegen. Aber die Gefahr ist direkt unter der Oberfläche doch am größten. Also: direkt runter.«
»Okay.«
Ich wollte ihm nicht zuhören. Ich wollte tauchen. Jetzt gleich.
Er war kein Tauchprofi. Aber er hatte viel gelesen. In Zeitschriften und im Netz. Er setzte seine Belehrungen fort, ohne sich von mir stressen zu lassen.
»Zweimal an der Leine ziehen bedeutet: aufsteigen.«
»Okay.«
»Vielleicht finden wir das Wrack sofort, vermutlich aber nicht. Wir gehen runter und nehmen es dann, wie es kommt.«
»Okay, okay.«
Und dann tauchen wir.
Simon zuletzt. Das kalte Wasser ist wie ein Huftritt ins Gesicht. Er legt das Holzkreuz mit der Sicherungsleine über das Loch im Eis. Beim Abstieg überprüft er den Computer. Zwei Meter. Taghell. Das Eis über uns ist wie ein Fenster für das Sonnenlicht. Als wir oben standen, war es schwarz. Von unten ist es hellblau. Zwölf Meter. Dunkel. Alle Farben verschwinden. Fünfzehn Meter. Finsternis. Simon fragt sich sicher, wie mir zumute ist. Aber er weiß, dass ich mutig bin. Siebzehn Meter.
Wir stoßen direkt auf das Flugzeugwrack. Landen darauf.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber nicht das. Dass es so einfach sein würde. In mir perlt ein Lachen, das ich jetzt nicht hinauslassen kann. Ich sehne mich danach, Simons Kommentare zu hören, wenn wir uns später am Feuer wärmen. Er ist immer so ruhig, aber dann werden die Wörter nur so aus seinem Mund sprudeln.
Das Flugzeug scheint einfach dagelegen und auf uns gewartet zu haben. Aber natürlich. Wir haben gelotet. Wir haben schon gesucht. Wir wussten, dass es hier sein müsste.
Aber jetzt, da ich es in der grünschwarzen Dunkelheit auf dem Boden liegen sehe, kommt mir doch alles ganz unwirklich vor. Es ist viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Simon leuchtet mich mit der Taschenlampe an. Bestimmt will er meine Reaktion sehen. Meine frohe Miene. Aber natürlich kann er hinter der Maske mein Gesicht nicht sehen.
Er macht eine Auf-und-Abbewegung mit der ausgestreckten Hand. Ganz ruhig, soll das heißen. Ich merke, wie heftig ich atme. Muss mich beruhigen, wenn die Luft reichen soll.
Sie reicht vielleicht für zwanzig Minuten. Danach werden wir außerdem ausgekühlt sein. Wir richten die Taschenlampen auf den Flugzeugrumpf. Die Lichtkegel fahren über das verschlammte Metall. Ich versuche, das Modell zu erkennen. Vielleicht eine Dornier? Ich schwimme über den Flugzeugrumpf, fege Algen und Schlamm mit der Hand beiseite. Nein, das Metall ist Wellblech. Es ist eine Junkers.
Wir folgen der Tragfläche und stoßen auf die Motoren. Das kommt mir auf irgendeine Weise verkehrt vor. Etwas hier stimmt nicht, etwas wirkt … wir schwimmen zurück. Ich bin dicht hinter Simon, halte die Sicherungsleine. Jetzt findet er das Fahrgestell. Oben auf der Tragfläche.
Simon sieht sich nach mir um und dreht seine ausgestreckte Hand um hundertachtzig Grad. Ich verstehe, was er meint. Das Flugzeug liegt auf dem Dach. Deshalb kommt uns alles falsch vor. Beim Aufprall auf das Wasser muss es sich um die eigene Achse gedreht haben. Ein Purzelbaum und dann mit der schweren Nase voran hinab ins Wasser. Nur eben auf dem Rücken.
Wenn es so eine Landung war, waren sie vermutlich allesamt sofort tot.
Aber wie gelangt man nun hinein?
Nachdem wir eine Weile gesucht haben, finden wir gleich hinter der Tragfläche die Seitentür. Aber die lässt sich nicht öffnen. Das Seitenfenster ist zu klein, um sich hindurchzuzwängen.
Wir schwimmen zur Nase. Dort hat ein Motor gesessen, aber der ist verschwunden. Sicher ist es so gewesen, wie ich mir das vorgestellt habe. Die Nase ist zuerst aufs Wasser aufgeschlagen. Dabei ist der Motor abgebrochen. Danach sank der Rumpf auf den Grund. Die Fenster des Cockpits sind zerbrochen. Es ist nicht ganz leicht hindurchzusteigen, da das Flugzeug kopfunter daliegt. Aber es geht. Simon leuchtet mit der Taschenlampe. Irgendwo dort drinnen schwimmen die Überreste der Besatzung herum.
Ich wappne mich gegen den Anblick dessen, was vom Piloten vielleicht noch übrig ist. Aber im Cockpit ist nichts zu sehen.
Jetzt bereut er sicher, dass er keine Seilrolle gekauft hat, wie
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