Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
gegangen sind und mit ihnen der Geruch von nasser Wolle und Scheune verschwunden ist, dann tritt im Klassenzimmer der Schulgeruch hervor. Der Geruch von Bücherstaub, der gammelige Gestank des Lappens, mit dem die schwarze Tafel abgewischt wird. Der Geruch nach Schmierseife vom Boden und der ganz eigene des alten Schulgebäudes. Hjalmar spürt, dass Magister Fernström ab und zu aufschaut, während er hinter dem Pult sitzt und Arbeitshefte korrigiert. Hjalmar erwidert diesen Blick nicht. Seine Augen folgen den Maserungen des Holzes in der Tischplatte. Die sehen aus wie eine liegende Frau. Weiter rechts gibt es ein Phantasietier oder vielleicht ein Schneehuhn, das Astloch könnte das Auge sein.
Jetzt betritt Rektor Bergvall das Klassenzimmer. Magister Fernström klappt das Heft zu und schiebt seine Vergleichsarbeit zur Seite.
Der Rektor wünscht Guten Tag.
»Also«, sagt er. »Ich habe mit den Ärzten in Kiruna und mit Elis Seväs Mutter gesprochen. Sie mussten ihn mit sechs Stichen nähen. Seine Nase war nicht gebrochen, aber er hat eine Gehirnerschütterung.«
Er legt eine Pause ein und wartet auf irgendeine Reaktion von Hjalmar. Hjalmar verhält sich wie immer, schweigt, schaut in eine andere Richtung, auf die Wandkarte von Palästina, auf die Orgel, auf die an den Wänden festgesteckten Zeichnungen der Schüler. Tore hatte sich das Fahrrad des jungen Sevä geschnappt. Elis Sevä hatte zu ihm gesagt, das solle er lieber lassen. Tore hatte erwidert: »Reg dich doch ab, ich leih das nur mal aus.« Es hatte Krach gegeben. Einer von Tores Kumpels hatte Hjalmar geholt. Elis Sevä war außer sich und wütend gewesen.
Magister Fernström schaut den Rektor an und schüttelt unmerklich den Kopf, zum Zeichen, dass es sich nicht lohnt, von Hjalmar Krekula eine Antwort zu erwarten.
Der Rektor wird ein wenig rot und kurzatmig; Hjalmars Schweigen hat ihn provoziert. Er sagt, das hier sei schlimm, sehr schlimm. Körperverletzung werde das genannt, einen Mitschüler mit einem Kreuzschlüssel zu schlagen, Herrgott noch mal, dagegen gebe es Gesetze, und diese Gesetze gälten auch in der Schule.
»Er hat angefangen«, sagt Hjalmar gewohnheitsmäßig.
Die Stimme des Rektors wird einen Ton schriller, und er sagt, er glaube, Krekula lüge, um seine eigene Haut zu retten. Dass die Kameraden Hjalmars Version vielleicht aus purer Angst bestätigen werden.
»Herr Fernström sagt, du seist eine mathematische Begabung, Krekula«, sagt der Rektor.
Hjalmar schweigt, schaut aus dem Fenster.
Jetzt verliert der Rektor die Geduld.
»Was immer du davon haben kannst«, sagt er. »Wo du in fast allen anderen Fächern Ungenügend bekommst. Vor allem in Ordnung und Betragen.«
Das Letzte wiederholt er noch einmal.
»Vor allem in Ordnung und Betragen.«
Nun schaut Hjalmar ihm in die Augen. Mit verächtlichem Blick.
Der Rektor hat plötzlich Angst, dass ihm zu Hause die Fensterscheiben eingeworfen werden könnten.
»Du musst versuchen, dein Temperament zu zügeln, Krekula«, sagt er versöhnlich.
Und dann sagt er, dass Krekula zwei Wochen lang vom Assistenten des Rektors betreut werden soll. Damit er eine Weile aus der Klasse herauskommt. Und die Möglichkeit hat, über seine Situation nachzudenken.
Dann geht der Rektor.
Magister Fernström seufzt. Hjalmar hat das Gefühl, dass dieses Seufzen dem Rektor gilt.
»Warum prügelst du dich?«, fragt er. »Du bist doch kein Dummkopf. Und was die Mathematik angeht, bist du wirklich begabt. Du solltest dich ins Zeug legen, Hjalmar. Noch hast du die Möglichkeit, in den anderen Fächern aufzuholen. Und dann kannst du auf die Realschule gehen.«
»Nee«, sagt Hjalmar.
»Wieso denn ›nee‹?«
»Mein Vater würde das doch nie erlauben. Wir sollen im Fuhrunternehmen arbeiten, ich und Tore.«
»Ich werde mit deinem Papa sprechen. Du entscheidest selbst, was du willst. Verstehst du? Wenn du aufhörst, dich zu prügeln und …«
»Scheiß drauf«, sagt Hjalmar heftig. »Ich hab ja überhaupt keine Lust aufs Büffeln. Ist doch besser, zu malochen und Geld zu verdienen. Darf ich jetzt gehen?«
Wieder seufzt Magister Fernström. Und jetzt gilt das Seufzen Hjalmar.
»Geh nur«, sagt er. »Geh du nur.«
Trotzdem spricht Fernström mit dem Alten. Eines Tages, als Hjalmar nach Hause kommt, ist Isak außer sich vor Zorn. Kerttu bäckt mit verbissener Miene kleine Pfannkuchen, während Isak in der Küche Verwünschungen ausstößt.
»Ich kann dir sagen, den Lehrer hab ich vor die Tür gesetzt«,
Weitere Kostenlose Bücher