Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
belustigt.
»Ich bin unschuldig«, sagt Rebecka. »Nicht ich habe sie erzogen.«
»Nein, nein«, sagt Hjalmar, »So, ja, Herzchen, jetzt ist es gut, hast du gehört. Wer hat dich denn erzogen?«
Rebecka verstummt.
Nicht lügen, denkt sie dann.
»Das ist Hjörleifur Arnarsons Hund«, sagt sie.
Hjalmar nickt nachdenklich, streichelt Veras Ohren.
»Mir ist gar nicht aufgefallen, dass er einen Hund hatte«, sagt er. »Möchtest du Kaffee?«
»Ja, bitte.«
»Du kannst den vielleicht selbst aufsetzen. Ich bin hier ja gerade beschäftigt. Der Kaffee steht im Schrank.«
Rebecka setzt den Kaffee auf. Er hat einen altmodischen Kaffeekocher. Sie füllt Wasser und Kaffee ein. Neben dem Herd liegt eine aufgeschlagene Bibel. Sie liest den unterstrichenen Vers laut vor.
»Und mein Geist ist in Ängsten, mein Herz ist erstarrt in meinem Leibe. – Gefällt dir der Psalter?«
»Nein, aber manchmal lese ich. Sonst gibt es hier doch kein anderes Buch.«
Rebecka hebt die Bibel hoch und blättert darin. Sie ist klein und schwarz und hat dünne Seiten mit Goldrand. Die Schrift ist so klein, dass sie fast nicht zu lesen ist.
»Ich weiß«, sagt er, als ob er ihre Gedanken erraten hätte. »Ich nehme ein Vergrößerungsglas.«
Die Bibel fühlt sich in ihrer Hand vertraut und schön an. Sie staunt über die Qualität des Papiers. Sie schnuppert daran. Es riecht gut. Kirche, Großmutter, eine andere Zeit.
»Liest du?«, fragt er.
»Manchmal«, gibt sie zu. »Ich habe nichts gegen die Bibel. Nur die Kirche …«
»Was liest du?«
»Ach, das ist unterschiedlich. Ich mag die Propheten. Sie sind so klar. Ich mag ihre Sprache. Und dann sind sie so menschlich. Jonas zum Beispiel. Der ist so unerhört quengelig. Und unzuverlässig. Gott sagt: Begib dich nach Ninive und predige. Und Jonas geht sofort in die entgegengesetzte Richtung. Und am Ende, als er drei Tage im Bauch des Fisches gesessen hat, predigt er Ninive den Untergang. Aber als dann die Leute in Ninive Buße tun und sich bessern und Gott sich die Sache anders überlegt und beschließt, sie nicht zu vernichten. Ja, da ist Jonas stocksauer, weil er doch den Untergang gepredigt hat und findet, dass er das Gesicht verliert, jetzt, wo der vorhergesagte Untergang gar nicht kommt.«
»Der Bauch des Walfisches.«
»Ja, es ist interessant, dass er sterben muss, ehe er sich verändern kann. Und auch danach ist er kein guter aufgeklärter Mann, ist nicht sozusagen für alle Zeit fertig verändert. Das ist doch nur eine angefangene Reise. Was liest du?«
Er schlägt die Bibel an der Stelle auf, an der das lila Lesebändchen gelegen hat.
»Hiob«, sagt er und schaut die unterstrichenen Verse aus zusammengekniffenen Augen an. »›Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt – – –‹«
»Ja.«
Hjalmar nickt wie ein Laestadianer in seiner Kirchenbank.
Ein gequälter Mann liest über einen gequälten Mann, denkt Rebecka.
»Gott kommt mir genau wie mein Vater vor, wütend wie der Teufel«, sagt Hjalmar und krault Veras Bauch.
Er lacht, wie um zu zeigen, dass er scherzt. Rebecka erwidert das Lachen nicht.
Vera seufzt zufrieden. Tintin hinten am Kamin seufzt zur Antwort. So soll ein Hundeleben sein.
Rebecka liest lautlos weiter. »Ein Berg kann zerfallen und vergehen und ein Fels von seiner Sätte weichen, Wasser wäscht Steine weg, und seine Fluten schwemmen die Erde weg: so machst du die Hoffnung des Menschen zunichte. Du überwältigst ihn für immer, dass er davonmuss.«
Sie sieht sich um. An den Wänden mit ihrer vergilbten Kieferntäfelung hängen wahllos verteilt allerhand Ziergegenstände. Ein Ölgemälde ohne Signatur von einer Windmühle an einer Bucht am Meer, über der gerade die Sonne untergeht, ein Samenmesser und ein ziemlich schlecht geschnitzter Holzbecher, ein ausgestopftes verblasstes Eichhörnchen auf einem Ast, eine aus einer kupfernen Pfanne hergestellte Uhr, wo die Zeiger auf der Unterseite angebracht sind, Kunstblumen in einer Porzellanvase auf der Fensterbank. Auch einige Fotos sind vorhanden.
»Ich werde dir mein Geheimnis zeigen«, sagt Hjalmar plötzlich und erhebt sich. Vera springt widerwillig auf den Boden.
Er zieht den Flickenteppich weg und lockert ein viereckiges Stück des Linoleumbelags. Unter dem Linoleum liegt ein loses Brett, und darunter zieht er ein Paket hervor. Es handelt sich um drei in rot-weiß kariertes Wachstuch eingeschlagene Mathebücher. Es gibt auch einen Plastikordner. Er
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