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Rebellen der Ewigkeit

Rebellen der Ewigkeit

Titel: Rebellen der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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gleichen Augenblick hörte Karelia hinter sich ebenfalls ein dumpfes Geräusch. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel. Eine Gestalt flog von hinten direkt auf das Rückfenster ihrer Fahrerkabine zu.
    Ein zweites Mal machte es Whump .
    Einen Meter weiter blieb der Pick-up schließlich stehen.

3.
    Willis Porrs bremste sein Rad scharf ab und sprang mit einem eleganten Schwung vom Sattel. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr: Er war fünf Minuten zu früh an der angegebenen Adresse. Er nickte befriedigt und schob das Rad auf den Gehweg.
    Es war kurz vor neun Uhr morgens und die Straßen waren noch weitgehend leer. In diesem Viertel stand man nicht so früh auf, denn die meisten Bewohner besaßen weder einen Arbeitsplatz noch genug Geld, um Einkaufszüge zu unternehmen. Lediglich ein paar junge Mütter zogen ihre widerstrebenden Kinder auf dem Weg zum Kindergarten hinter sich her.
    Willis blieb einen Moment stehen und atmete tief durch. Die Sonnenstrahlen wurden von den grauen Wohnhäusern noch abgefangen, und die Luft war angenehm frisch, auch weil es nur wenige Minuten her war, dass ein Reinigungsfahrzeug die Straße mit Wasser besprüht hatte.
    Willis liebte diese Morgenstunden, in denen die Stadt noch nicht ihren Rhythmus gefunden hatte und der Duft von Croissants und frisch gemahlenen Kaffeebohnen in der Luft lag. Für einen Augenblick schienen selbst die alten Gebäude verjüngt zu sein, verdeckten ihre Runzeln und zeigten sich von ihrer besten Seite, bevor die zunehmende Hitze und die Autos, die sich zwischen ihnen hindurchzwängten, sie wieder ihr Alter spüren ließen.
    Willis schob sein Kurierrad in den kühlen, gefliesten Flur und stellte es unter einer Reihe von Briefkästen ab, die einmal grün gestrichen gewesen sein mochten. Er betätigte nacheinander die drei elektronischen Schlösser. Dies war eine Gegend, in der man selbst einen gepanzerten Safe nur ungern ohne Bewachung herumstehen ließ. Die Dinge wurden erst einmal mitgenommen, einfach, weil sie da waren, und erst dann, wenn man sie an einen sicheren Ort geschafft hatte, in Ruhe begutachtet. Sein Fahrrad war zudem nicht irgendein alter Blechesel, sondern ein extrem belastbares Kurierrad. Es besaß keinerlei Wiederverkaufswert, denn durch seine spezielle Konstruktion war es für jedermann sofort zu erkennen und außerdem, wie jedem einigermaßen informierten Fahrraddieb bekannt war, mit einem GPS-Sender ausgerüstet. Aber es gab immer Leute, denen solche Details völlig gleichgültig waren. Ihnen schien es weniger um die Bereicherung zu gehen, sondern eher um den Akt des Wegnehmens selbst.
    Willis nahm seine Tasche und begann den Aufstieg in den sechsten Stock. Im Treppenhaus roch es nach Reinigungsmittel, Muff und exotischen Gerichten, heimelig und abstoßend zugleich. Durch die Türen auf den Treppenabsätzen drangen Fetzen von Leben nach draußen: Musik, Babygeschrei, das Schimpfen einer Männerstimme in einer fremden Sprache, das Geräusch eines Staubsaugers.
    Mit jeder Stufe drang Willis tiefer in diese Welt ein, die so einzigartig war und doch so austauschbar. Er kannte Dutzende von Häusern wie dieses, jedes ein kleiner Mikrokosmos des Viertels. Worin sie sich unterschieden, das waren die Sprachen der Bewohner, der Rhythmus der Musik und das Aroma, das aus den Küchen in die Welt hinaus schwebte.
    Willis wusste das so genau, weil er seit etwa einem halben Jahr in diesem Stadtviertel lebte. Seine Wohnung lag nur wenige Blocks entfernt. Das Haus, in dem sie sich befand, war ebenso schäbig wie das hier und die Wohnung nicht viel größer als zwei Treppenabsätze zusammengenommen. Willis hatte sie trotzdem auf Anhieb gefallen. Sie war preiswert (ein wichtiger Faktor, denn als Fahrradkurier verdiente man keine Reichtümer), verfügte über eine Dusche (was in diesem Viertel noch immer nicht selbstverständlich war), und die übrigen Mieter im Haus waren sämtlich Einwanderer aus nahezu allen Kontinenten, was ihm ausnehmend gut gefiel, denn das Haus war von früh bis spät mit Musik, einem bunten Stimmengewirr und weiteren Zeichen eines offenen sozialen Lebens erfüllt.
    Was andere als störend empfunden hätten, war für Willis eine angenehme, wenn nicht gar notwendige Hintergrunduntermalung. Wer sechzehn Jahre in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, der wird später entweder zum völligen Einsiedler, weil ihn die Zwangsgemeinschaft rund um die Uhr so gezeichnet hat, oder er sucht sich Lebenszusammenhänge, die genau dieses ständige

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