Rebellen der Ewigkeit
Naheliegende war natürlich, die Polizei anzurufen. Das würde allerdings bedeuten, dass er hierbleiben müsste – und dann würde er seine Sendung nicht pünktlich zustellen können. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass er dafür noch genau 30 Minuten Zeit hatte. Und die Zentrale hatte ihm deutlich gemacht, wie wichtig diese Lieferung war. Deshalb hatte er ja den Job bekommen, denn keiner der anderen Kurierfahrer kannte sich in diesem Stadtviertel so gut aus.
Willis warf einen vorsichtigen Blick auf den Toten. Die Polizei würde ihn auch nicht wieder lebendig machen. Und nach der Erledigung seines Auftrags konnte er immer noch dort anrufen.
Er sprintete durch den Vorraum, lauschte an der Tür zum Treppenhaus kurz nach verdächtigen Geräuschen, und als er außer den bekannten Mietshauslauten nichts hörte, lief er die Treppe hinunter. Sein Rad stand noch da, wo er es abgestellt hatte, direkt unter den Briefkästen hinter der Eingangstür.
Während Willis die Schlösser öffnete, fiel ihm siedend heiß ein, dass die Mörder das Fahrrad ebenfalls gesehen haben mussten. Dann wussten sie auch, dass er das Haus nicht verlassen hatte. Aber warum waren sie nicht zurückgekommen, um nach ihm zu suchen? Vielleicht hatten sie es doch nicht bemerkt?
Er hatte nicht die Zeit, weiter darüber nachzudenken, wenn er die Lieferung pünktlich zustellen wollte. Vorsichtig zog er die Haustür auf. Auf der Straße war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Mit einem Ruck öffnete er die Tür vollständig, schob sein Rad durch, schwang sich in den Sattel und schoss auf die Fahrbahn, genau in die Lücke zwischen zwei Fahrzeugen. In wenigen Sekunden hatte er die nächste Kreuzung erreicht. Während er sich in die Kurve legte, warf er einen schnellen Blick zurück. Aus der Reihe der parkenden Autos gegenüber dem Haus, das er soeben verlassen hatte, scherte gerade eine schwarze Limousine aus, in der zwei Männer saßen.
Mist !
Der Blick über die Schulter war zu kurz, um die beiden genau zu erkennen, aber Willis war sich sicher, um wen es sich handelte. Sie hatten sein Fahrrad also doch gesehen und daraus den richtigen Schluss gezogen! Und er war ihnen direkt in die Falle gelaufen.
Willis richtete sich in den Pedalen auf und schaltete zwei Gänge höher. Mal sehen, wie gut seine Verfolger sich hier in der Gegend auskannten!
Eine Kreuzung weiter staute sich der Verkehr dreispurig vor einer Ampel. Willis schlängelte sich im Zickzackkurs zwischen den wartenden Autos durch. Kurz vor der immer noch roten Ampel riss er das Vorderrad hoch und fuhr auf den Bürgersteig.
Er stoppte das Rad und warf einen Blick zurück. Die schwarze Limousine war etwa fünfzig Meter weiter hinten von den stockenden Fahrzeugen aufgehalten worden. Willis nickte befriedigt vor sich hin. Das würde ihm einige Minuten Vorsprung verschaffen.
Das Quietschen von Reifen und lautes Hupen rissen ihn aus seiner Selbstzufriedenheit. Seine Verfolger waren aus der Schlange ausgeschert und ebenfalls auf den Bürgersteig gewechselt. Sie jagten direkt auf ihn zu, ohne dass der Fahrer dabei Rücksicht auf die Fußgänger nahm, die in Panik versuchten, den Weg frei zu machen.
Wie erstarrt blickte Willis dem näher kommenden Fahrzeug entgegen. So verstrichen wertvolle Sekunden, bevor er sich erneut in die Pedale legte und die Seitenstraße entlangraste, die leicht bergab zum Flussufer führte.
Er spürte mehr, als dass er es hörte, wie die schwarze Limousine hinter ihm um die Ecke bog. Vor seinen Verfolgern befanden sich noch einige Autos, die ihm einen kleinen Sicherheitspuffer verschafften. Hier musste die Limousine auf der Straße bleiben, denn die Gehsteige waren zu schmal für den Wagen.
Ohne abzubremsen, zog Willis von der rechten auf die linke Straßenseite und erntete wildes Hupen des nachfolgenden Fahrzeugs. Zwischen zwei Häuserwänden tat sich plötzlich eine Gasse auf, die als Lieferanteneinfahrt für ein paar Restaurants und Kneipen diente und von einem versenkbaren Poller versperrt wurde. Willis umkurvte das Hindernis geschickt und düste in die Häuserschlucht. Er hatte aus seinem Fehler von vorhin gelernt. Diesmal hielt er nicht an, sondern radelte durch. Er warf lediglich einen schnellen Blick über die Schulter zurück, gerade rechtzeitig, um seine Verfolger kurz vor der Einfahrt anhalten zu sehen. Dann gab der Fahrer Gas und der Wagen verschwand aus seinem Blickfeld.
Willis konnte sich denken, was sie vorhatten: Sie wollten den Block umrunden
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