Rebellin der Liebe
als sonst. Er hatte sich neben Blanche auf dem gepolsterten Sitz zurückgelehnt, und seine langen, muskulösen Beine brauchten mehr als den ihnen zustehenden Raum. Als die Kutsche abermals durch ein Schlagloch rumpelte, stieß eins der Knie des Jungen derart heftig gegen Rufus’ von Gicht geplagte Knochen, dass er vor Schmerz zusammenfuhr.
»Tut mir Leid.« Stefan bedachte ihn mit einem Grinsen, in dem nicht eine Spur ehrlichen Bedauerns lag, ehe er ein Stück Pergament aus dem Satinbeutel an seinem Gürtel zog und auseinander faltete.
Das Papier war so vergilbt und zerknittert, als hätte er es bereits zahllose Male geöffnet, gelesen und liebevoll wieder zusammengelegt. Das zerbrochene Siegel war nicht zu erkennen, und obwohl Rufus den Hals reckte, konnte er nicht lesen, was auf dem Zettel stand.
»Hättest du vielleicht gern ein Kissen, mein Lieber?«, fragte Blanche und versperrte ihm die Sicht mit einem der dicken Kissen, die sie mit ihren bleichen, schlanken Händen bestickt hatte.
Rufus schaute seine Frau an. Sie war immer so freundlich. So begütigend. So auf seine Bequemlichkeit bedacht. Trotzdem konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, dass sie ihm das Kissen am liebsten vor das Gesicht gedrückt hätte.
»Nein, danke«, sagte er und lehnte sich zurück. »Sicher ist es nicht mehr weit bis zu dieser gottverlassenen Burg. Das heißt, hoffentlich kommen wir noch vor Beginn des Schneesturms an.« Er zog den Samtvorhang zurück und starrte in Richtung der Wolken, die sich über der feindseligen Landschaft auftürmten. »Findest du es nicht auch seltsam, dass Lord Bannor uns wie Lakaien zu seiner Hochzeit zitiert? Schließlich ist er bereits mit Willow verheiratet. Zu meiner Zeit hat eine Eheschließung vollkommen genügt.«
Stefan und Blanche sahen ihn an wie zwei Katzen, die sich gerade eine besonders köstliche fette Maus geteilt hatten.
»Vielleicht will Lord Bannor Willow ganz einfach eine Hochzeit zuteil werden lassen, wie sie ihrer würdig ist.« Blanche bedachte Rufus mit einem unschuldigen Blick.
»Das würden wir ihr schließlich alle wünschen, oder etwa nicht?«, murmelte Stefan und schob das Pergament in den Beutel zurück. »Schließlich soll sie bekommen, was sie verdient.«
Beunruhigt von dem gierigen Blitzen in den Augen des Stiefsohns, wandte sich Rufus wieder an seine Frau. »Zumindest bekommst du auf diese Weise die Möglichkeit, deine rebellische Tochter wieder nach Hause zurückzuholen«, meinte er.
Wieder tauschten Stefan und seine Mutter rätselhafte Blicke aus. »Vielleicht bleibt Beatrix ja lieber weiterhin auf Elsinore. In ihrem letzten Brief hat sie mir versichert, dass Lord Bannor durchaus Gefallen an ihr gefunden hat.«
»Zum Glück haben wir die anderen Kinder zu Hause gelassen«, murmelte Rufus. »Vielleicht hätte er an ihnen ebenfalls Gefallen gefunden und beschlossen, dass er sie alle behält.«
Seine Hände zitterten, als er den Vorhang wieder sinken ließ. Er hatte keine Ahnung, weshalb die Aussicht auf ein Wiedersehen mit seiner Tochter ihn vor Freude und gleichzeitiger Furcht erbeben ließ.
Er konnte sich genau daran erinnern, wie er sie zum letzten Mal gesehen hatte - vor dem Priester in der Kapelle von Bedlington, bleich, aber gefasst. Ihre Stimme hatte nicht geschwankt, noch nicht einmal, als sie einem Fremden die Treue geschworen hatte, der sie bald an einen weiteren Fremden abträte.
Ich verkaufe meine Tochter nicht!
Und warum nicht, Papa? Schließlich wäre es nicht das erste Mal!
Die Erinnerung an ihre vorwurfsvollen Worte riefen Zorn und Bedauern in ihm wach. Das Mädchen hatte nicht das Recht gehabt, ihm Vorwürfe zu machen! Er hatte immer sein Bestes im Sinn gehabt! Schließlich wusste jeder, dass ein kleines Mädchen eine Mutter brauchte, oder etwa nicht? Es wäre nicht gegangen, es einfach wie eine wilde, kleine Elfe auf den Wiesen von Bedlington herumlaufen zu lassen, ohne dass jemand es erzog.
Und hatte Blanche ihm nicht versichert, dass sie, nachdem sie sechs eigene Kinder geboren hatte, durchaus wüsste, wie mit einem willensstarken kleinen Mädchen umzugehen war? Hatte sie nicht versprochen, Willows natürlichen Übermut in jungfräuliche Zurückhaltung zu wandeln? Wann immer Rufus gesagt hatte, sie wäre dem Kind gegenüber vielleicht etwas zu hart, hatte sie ihn mit ihren sanften Worten und ihren honigsüßen Lippen milde gestimmt. Wie hätte er gegen ihre harte Hand gegenüber seinem Kinde protestieren sollen, wenn dieselbe Hand ihm
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