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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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schloss kurz die Augen und schluckte schwer. »Gott, Victoria…«, keuchte er, doch er verkniff sich, was immer er hatte sagen wollen.
    Victoria fühlte sich plötzlich sehr klein und schwach und sonderbar verängstigt. Sie fuhr nach Hause, in ihre alte vertraute Rolle, aber die Erinnerung an zu Hause schmeckte fremd und schal.
    »Bitte...«, sagte sie vorsichtig. »Würden Sie mich bitte in die Arme nehmen?«
    Raeburn sagte nichts, aber seine Augen glitzerten im Schatten, und er kam wortlos zu ihr herüber, legte von hinten die Arme um sie und drückte ihren Rücken an seine Brust. Sie lehnte den Kopf an ihn, grub ihn unter sein Kinn. Dann machte sie die Augen zu, dachte an nichts mehr und genoss nur noch das Gefühl.
    Sie wurden viel zu bald von einem Ruckeln an der Kutsche gestört. Victoria schlug die Augen auf und sah, wie Andrew ihre Reisetruhe mit einem letzten Schubs aufs Dach beförderte. Sekunden später folgte die Reisetasche.
    »Ich darf mich nicht verspäten«, sagte Victoria.
    Raeburn nickte. Seine Stimme war kühl und neutral, und sie fragte sich, wie irrationaler Zorn so ruhig wirken konnte.
    »Ich vermute, dass ich Sie nicht einmal in London zu Gesicht bekommen werde«, brachte sie heraus.
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich fahre nicht mehr nach London.«
    »Dann alles Gute, Raeburn.« Sie hielt inne. »Byron.« Alle die Worte, die sie noch sagen wollte, erfüllten sie mit einer tosenden Kakophonie, bis sie kein einziges davon mehr über die Lippen brachte.
    »Alles Gute, Victoria.« Und damit stieß er die Tür auf und war fort.
     
    Byron drehte sich um, lief ins Haus und bog mit wehendem Mantel in einen Flur ein. Er erreichte das erste Treppenhaus und nahm zwei Stufen auf einmal. Oben angekommen, rannte er blind durch die dunkle Galerie, die ungenutzten Räume und wieder eine Treppe hinauf, bis er die letzte Tür aufstieß und im Turmzimmer stand.
    Er erreichte das Fenster genau in dem Moment, als die Kutsche das Pförtnerhaus passierte und auf die Hauptstraße einbog. Die Pferde trabten. Raeburn sah erstarrt zu, wie der Wagen in der Ferne verschwand, langsam und doch viel zu schnell, bis er nur noch ein schwarzer Tupfer auf der Straße war.
    Fort. Sie war fort, endgültig und für immer. Er setzte sich, nahm ein Kissen von dem Diwan, auf dem sie am ersten Abend gelegen hatte, vergrub sein Gesicht darin und versuchte, einen Hauch von Lavendel zu erkennen.
    Aber da war keiner. Bis zu dem Augenblick, als er die Tür der Kutsche geschlossen hatte und die Kutsche davongerollt war, hatte er nicht wirklich geglaubt, dass sie fahren würde. Ein Teil von ihm hatte es verleugnet – hatte es als so absurd empfunden, dass er es nicht hatte begreifen wollen. Doch er wusste, dass er sie nie wiedersehen würde. Er hatte die Wahrheit gesagt, was London anging – er würde nie wieder hinfahren, konnte nie wieder hinfahren. Nicht, wenn seine alten Freunde von ihm erwarteten, erneut die alten Spielchen zu spielen, nicht, wenn er sich nicht mehr erhoffen konnte, als Victoria aus der Ferne im Salon einer alten Baroness sitzen zu sehen.
    Er stand zittrig auf, verließ den Raum und kehrte auf verschlungenen Pfaden in die Henry-Suite zurück. Er entzündete eine Kerze, legte den Mantel ab, ließ sich in einen Sessel fallen und starrte den kalten Kamin an.
    Fort. Fort. Fort. Das Wort hallte wie eine Glocke in seinem Kopf wider. Er stellte sich vor, wie sie allein in der dunklen Kutsche saß. Sie hatte nicht gehen wollen; und wenn die Erde sich plötzlich andersherum drehen sollte, das war die eine Sache, der er sich sicher sein konnte. Aber wie lange würde sie ihre Abreise bedauern? Einen Tag lang? Eine Woche lang? Bis sie ihre Muter sah? Bis zum ersten Ball in London? Ein Jahr lang? Für immer?
    So lange, wie er es bedauern würde?
    Aber selbst wenn sie es längere Zeit bedauern sollte, würde die Zeit doch Victorias Erinnerung verändern und ihn zu etwas Noblerem, Großartigerem machen, als er es war. Schöne Gedanken verzerrten die Erinnerung, und selbst wenn ihre Zuneigung nicht verblasste, würde er nie der Mann sein können, für den sie ihn in ein, zwei Jahren hielt.
    Vielleicht war es das Beste, wenn sie die zärtlichen Erinnerungen schnell vergaß …
    Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte und die Gedanken kreisen ließ, bis sein Hirn Furchen bekam. Aber die Kerze war weit heruntergebrannt, als ein leises Klopfen an der Tür ihn unterbrach.
    »Herein«, rief er und sah über die Schulter,

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