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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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von der Kutsche entfernt. Vor der Tür wartete Dyer mit gefalteten Händen und verschämtem Gesichtsausdruck, daneben das Gepäck. Victoria stieg, auf Andrew gestützt, aus der Kutsche.
    »Geht es Ihnen gut, Mylady? Ich wäre nie abgereist, wenn ich gewusst hätte, was passieren würde...« Sie eilte auf Victoria zu und stützte sie. Andrew lief zum Wagen zurück.
    »Es geht mir gut. Wirklich gut«, sagte Victoria.
    Der Kutscher bereitete den Wagen auf die Rückfahrt vor, klappte den Tritt hoch, schloss den Schlag und stieg wieder auf den Kutschbock. Dann ließ er die Peitsche knallen und wendete in einem langsamen großen Bogen. Zurück nach Raeburn Court.
    Zurück zu dem Mann, den sie liebte.
    »Halt!«, schrie Victoria. Die Kutsche war gerade zehn Meter entfernt, doch Fuhrwerke und andere Kutschen klapperten die Straße entlang, und weder Andrew noch der Kutscher schien sie zu hören.
    »Haben Sie etwas vergessen, Mylady?«, fragte Dyer und starrte verunsichert in den Regen.
    »Halt!«, schrie Victoria wieder, riss sich von Dyer los und keuchte vor Schmerz, als sie mit dem Fuß aufkam. Sie packte einen eisernen Pfosten, während Dyer ihr nacheilte.
    »Eure Ladyschaft!« »Halten Sie die Kutsche auf!«, befahl Victoria. »Was immer Sie dazu tun müssen, halten Sie sie auf!« Sie umklammerte den Pfosten und sah zu, wie Dyer sich ins Getümmel stürzte und mit den Armen wedelte. Andrew fuhr hoch, und der Kutscher brachte den Wagen zum Stehen. Dyer zeigte auf Lady Victoria.
    Langsam, ganz langsam wendete die Kutsche und kehrte zum Bahnhof zurück. Victoria sah auf die Uhr. Sie hatten noch genug Zeit. Es musste einfach funktionieren. Und wenn nicht, dann konnte sie ein paar Stunden später den nächsten Zug nehmen.
    Sie schickte ihrer Mutter im Geist eine Nachricht und bat um Verzeihung. Dann straffte sie die Schultern und wandte sich Andrew zu, der vom Kutschbock gesprungen war und sie fragend ansah.
    Ich komme, Byron. Ich komme, dir zu sagen, was ich dir längst hätte sagen sollen.
     
    Mittag. Es war fast schon Mittag. Wo war die Zeit hin?
    Byron steckte die Uhr weg, bog um das Pförtnerhaus auf die Straße und wünschte nur, er hätte Apollonia mehr als diesen Trab abverlangen können. Aber von Raeburn Court nach Leeds waren es vierzig Meilen, und er konnte unterwegs nirgendwo das Pferd wechseln.
    Falls Apollonia ein Eisen verlor, falls das Wetter plötzlich aufklarte, falls die Straße schlechter wurde … Die Furcht versuchte, sich einen Weg in sein Gehirn zu bahnen, aber er ignorierte sie. Er würde nicht einmal ans Scheitern denken.
    Er duckte den Kopf gegen den kalten Regen, der ihm ins Gesicht schlug, und hielt den Blick auf die schlammige Straße gesenkt und auf die tiefen frischen Furchen, die ihn wie ein Versprechen weiterzogen. Folge mir, folge mir. Apollonias Hufe wirbelten mit jedem Schritt Schlamm auf, der ihre Flanken und die Schöße seines langen grauen Mantels befleckte. Seine Beine wurden von der Kälte immer tauber, und in seinen flachen weichen Schuhen, die nicht zum Reiten gedacht waren, stand das Wasser.
    Weatherlea – er nahm die Abzweigung und den blassen, erschrockenen Jungen, der vor den Pferdehufen zur Seite sprang, kaum wahr. Er spürte inzwischen auch seine Hände nicht mehr, denn seine Glacéhandschuhe waren schon seit Meilen durchgeweicht. Sein Gesicht spürte er auch nicht mehr. Was ein gutes Zeichen war, dachte er sarkastisch, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete.
    Er wusste nicht, wie viele Meilen er schon hinter sich hatte. Die Straße zog sich wie ein verschwommenes braunes Band dahin. Er wollte nicht an ein Scheitern denken, also konzentrierte er sich auf Apollonias Hufschlag und die zwei Quadratmeter Schlamm unter ihren Hufen. Sekunden und Minuten verschwammen, bis die Zeit still zu stehen schien.
    Irgendwo in jenem endlosen Augenblick wäre er fast aus dem Sattel gefallen, weil Apollonia plötzlich zur Seite scheute und seine tauben Beine ihm den Halt verweigerten. Er klammerte sich mit einer Hand an den Sattelknauf, mit der anderen zügelte er Apollonia. Sie tänzelte in einem engen Kreis, warf den Kopf zurück und blähte die Nüstern. Zufällig entdeckte er aus dem Augenwinkel eine schwarze Kutsche, die am Stra ßenrand stand und deren Tür gerade abrupt aufgeflogen war. Dann hatte er wieder nur die Straße vor Augen. Doch der kurze Moment war alles, was er brauchte, um die Gesichter seines Kutschers und seines Lakaien zu erkennen, und er verkniff

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