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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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Spott oder Tadel oder Gönnerhaftigkeit gewesen, sie hätte sich mit einem kalten Lachen wegdrehen können. Aber da war wieder nur diese Traurigkeit, der sie nichts entgegenzusetzen hatte. Sie war sich seiner mit jeder Faser ihres Körpers bewusst, es brannte in ihr und schwächte sie gleichermaßen.
    »Sehen Sie mich an und sagen Sie mir, dass Sie es nicht brauchen«, sagte er. »Kein Mitleid. Ich halte zu viel von Ihnen, um Ihnen Mitleid anzubieten. Wohlwollen, Freundlichkeit, Zuneigung – sagen Sie mir, dass Sie das nicht brauchen.«
    »Ich kann nicht«, flüsterte Victoria. Warum konnte sie diesem Mann nichts vorlügen wie so vielen anderen? Warum konnte sie sich nicht einfach wegdrehen? Vielleicht hatte sie heute in dem Haus, an dem er baute, zu viel von ihm gesehen, zu viel von ihm erspürt. Was immer es auch war, sie schaffte es nicht, sich ihm zu entziehen. »Ich verdiene all das nicht.«
    Ein schmerzliches, schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Der Himmel bewahre uns vor unserem gerechten Lohn.«
    Er senkte den Kopf, und Victoria zog den Kopf weg, als ihr klar wurde, was er vorhatte.
    »Küss mich, verdammt«, grollte er und hielt ihren Hinterkopf fest.
    Victoria versuchte auch jetzt noch, den Kopf zu schütteln. Sie fühlte sich, als habe jemand ihr Hirn bloßgelegt und ihre Mauern untergraben, während sie die Tore bewacht hatte. Sie konnte es nicht ertragen, angefasst zu werden, nicht, solange sich noch alles um sie drehte.
    »Geben Sie mir eine Minute – eine halbe Minute!«, jammerte sie. Zeit, die Lücken in ihrer Verteidigungslinie zu stopfen und die Truppen zu sammeln. Aber ihr Flehen verhallte, als ihre Lippen sich trafen. Raeburns Lippen verschlugen ihr den Atem und nahmen ihr die Widerstandskraft. Die dunkle Hitze in ihrem Inneren durchschoss sie wie geschmolzenes Silber, versengte jeden Nerv und löste jeden Knochen auf, bis ihr Selbst ihm in purer Verzückung entgegenfloss. Raeburns Zunge drückte an ihre Zähne, und sie hieß sie willkommen, ergötzte sich an dem Gefühl.
    Der Rhythmus seines Mundes und ihrer Hände, die seine Weste umklammert hielten, schlug im Takt mit ihrem Herzen. Sie versuchte, sich den Wonnen hinzugeben und alles andere zu vergessen, doch jede Berührung hielt sie in der Gegenwart fest – und in dem Wissen, dass es nicht irgendein Mann war, der sie da in Armen hielt, sondern Raeburn, der dunkle, gefährliche Raeburn. Diese Küsse, diese Berührungen, diese Lust ließen sie euphorisch werden. Doch noch während sie seinen Geschmack in ihre Erinnerung einbrannte, mischte sich Bitterkeit in die Euphorie, ja sogar Verzweiflung und quälende Leere.
    Als sie sich trennten, entriss es ihrer Kehle einen Schrei, halb Stöhnen, halb Schluchzen. Einen Augenblick lang stand sie nur da, zu mitgenommen, sich zu bewegen. Sie kämpfte gegen die Gefühle, die, so lange sie denken konnte, brachgelegen hatten und schon fast vergessen waren. Die stille Verzweiflung gewohnheitsmäßiger Einsamkeit: Daran war sie gewohnt, damit konnte sie umgehen. Aber nicht mit dem viel persönlicheren Schmerz, zu wissen, dass sie hier war – und drüben, auf der anderen Seite der Brücke, Raeburn.
    »Tun Sie das nie wieder«, sagte sie schließlich. Ihre Stimme war ruhig und fest. Sie wünschte, sie hätte von sich dasselbe sagen können.
    »Und warum nicht?« Sein Ton war so nüchtern wie seine Miene.
    Sie presste die Lippen zusammen. »Weil ich meinen Körper verkauft habe, mehr aber nicht.«
    »Ich nehme nichts, das Sie mir nicht aus freien Stücken geben.« Seine Hände glitten über ihren Rücken, fanden die Knöpfe an der Taille und öffneten sie schnell. Er schob die Hände in ihr Kleid, zupfte zweimal und hatte den ersten ihrer Unterröcke aufgebunden. Einen Augenblick später landete die Krinoline zu ihren Füßen.
    »Muss die denn immer als Erstes weg?«, fragte sie und bemühte sich vergebens um eine Leichtigkeit, wie sie noch vor zwei Minuten geherrscht hatte.
    Raeburn zog die Augenbrauen hoch, antwortete aber dennoch. »Die ist immer am meisten im Weg.« Seine Hände umfassten ihr Hinterteil, und er zog sie halb, hob sie halb zu sich. Sein Gesichtsausdruck blieb angespannt und ernst, und sie wusste, sie hatte es nicht geschafft, seinen Gedanken eine neue Richtung zu geben, wo immer sich seine Hände auch zu schaffen machten.
    Sie versuchte es mit einem Trick. »Ich stehe auf meiner Krinoline.«
    Raeburn würdigte die Bemerkung keines Wortes, sondern hob Victoria einfach hoch und

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