Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
Mann, der so lässig ihr gegenüber dasaß, beunruhigte sie, und sie wusste nicht, warum, was das Beunruhigendste von allem war. Sie hätte sich einreden können, dass es an seiner schieren körperlichen Präsenz lag oder dem schrecklich überdekorierten Zimmer. Oder auch an dem, was sie ihm gestanden hatte, aber es wäre nicht die ganze Wahrheit gewesen.
»Sättigend, wenn auch keine Gaumenfreude«, merkte sie an und legte die Serviette neben den Teller.
Raeburn lächelte mysteriös. »Es gibt noch etwas.« Er räumte die Teller und Platten zusammen und stellte sie weg. Dann zog er aus der dunklen Ecke neben dem Ofen den letzten Gang sowie frische Teller und Besteck. Er deckte mit schwungvoller Geste die Platte auf.
»Krümelkuchen?«, fragte Victoria überrascht und betrachtete den streuselbedeckten Obstkuchen.
»Der beste Pfirsich-Krümelkuchen nördlich von Manchester«, sagte er. »Zufällig das Einzige, was die Köchin wirklich kann.«
Victoria sah ihn zweifelnd an, während er ihr ein großes Stück auf den Teller legte. Er amüsierte sich über ihren Gesichtsausdruck und stach mit seiner Gabel in ihr Stück.
»Probieren Sie ihn«, neckte er sie und hielt ihr ein Stück Pfirsich an den Mund.
Victoria zögerte einen Augenblick und verspürte wieder diese seltsame Anspannung, die alles und nichts mit der flatterigen Hitze in ihrer Magengegend zu tun hatte, die sein Blick verursachte. Raeburn machte ein belustigtes Gesicht, und sie stellte sich der Herausforderung, indem sie den Mund aufmachte.
Der zimtige Sirup floss über ihre Zunge, und als sie zubiss, gab der feste Pfirsich nach und verströmte seinen Saft. »Oh«, sagte sie, während sie schluckte. »Er ist wunderbar.« Der Geschmack verweilte süß und verführerisch. Sie griff nach ihrer eigenen Gabel, doch Raeburn nahm sie am Handgelenk.
»Nein«, sagte er. »Ich mache das für uns beide.« Er beobachtete sie mit verschleiertem Blick, hob eine Gabel voll Kuchen an den Mund und nahm ihn langsam zwischen die Zähne, auf eine Art, die ihr den Atem stocken und sie wie ein junges Mädchen erröten ließ. Sein Mundwinkel zuckte, als er ihre Reaktion sah.
Das stachelte ihren Ehrgeiz an, drängte ihr Unbehagen zurück und verleitete sie zu einer Vorstellung, die seine übertraf. Als er ihr das nächste Stück an die Lippen hob, nahm sie es langsam und lasziv mit den Lippen auf, und legte die Zunge um das Pfirsichstück, bevor sie zubiss. Raeburns Gesichtszüge spannten sich an, und als sie sich einen Brösel vom Mundwinkel leckte, sah er sie hungrig an und schloss die Finger um ihr Handgelenk. Ihr wurde noch wärmer, und sie war sich der Schwielen an seiner Handfläche bewusst, der Konstruktion ihres Korsetts und der Textur ihres Kleiderstoffs.
»Wenn Sie so weitermachen, werden Sie, fürchte ich, Mrs. MacDougals feinen Kuchen nicht zu Ende essen können«, sagte er mit einer unterschwelligen Intensität, die seinen beiläufigen Tonfall Lügen strafte.
»Wer sagt, dass das so schlimm wäre?« Ihre Stimme holperte ein wenig und hörte sich hoch und gedehnt an.
»Ich sicher nicht.«
Victorias sonderbares Gefühl kehrte mit voller Wucht zurück. In die Unruhe mischte sich etwas, das sich fast wie Schmerz anfühlte. Sie löste sich impulsiv aus Raeburns Griff und hob seine Hand an den Mund. Dort hielt sie diese eine lange Zeit lang fest, die Fingerspitzen an die Lippen gelegt, als könne sie seine Essenz atmen, sie isolieren und in ihre Bestandteile zerlegen, um endlich herauszufinden, was an ihm sie so beunruhigte. Sie presste die Lippen auf seine Handfläche, strich mit der Zunge darüber, registrierte jede Falte und jeden Kratzer auf seiner Haut, bis sein Atem hastig und keuchend ging.
Es war sinnlos. Da war nichts als bloßes Fleisch – anregend zwar in seiner kompromisslosen Rauheit, aber die Antwort, die sie suchte, war nicht dabei. Als sie ihn losließ, ballte er die Hand zusammen, als wolle er ihren Kuss bewahren.
»Die Wahrsager behaupten, sie könnten aus den Falten und Linien einer Handfläche das Leben lesen.« Victoria schüttelte den Kopf und lächelte schwach. »Ich kann da nichts lesen, nur dass Sie nicht sooft Handschuhe zu tragen scheinen wie die meisten anderen Gentlemen.«
Auf der anderen Seite des Tischs machte Raeburn ein gleichermaßen amüsiertes wie trauriges Gesicht. »Was sollten Sie da auch lesen können? Mein Schicksal ist solchen dubiosen Wissenschaften verborgen. Sie sagen, ich trüge es im Blut, aber das kann niemand
Weitere Kostenlose Bücher