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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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Mal. »Ja, habe ich, oder?«
    »Und ob.« Sämtliche Reste vom gestrigen Abendessen waren verschwunden, sogar der Krümelkuchen. Victoria fröstelte bei der Erinnerung. Sie strengte sich an, ihre Stimme kühl und pragmatisch klingen zu lassen. »Bringen Sie es doch bitte her, Annie.«
    Annie gehorchte und zog sich gleich wieder zur Tür zurück. Victoria deckte das Tablett ab – Toast, Eier und Würstchen, wie erwartet – und fing zu essen an. Sie trank einen Schluck lauwarmen Tee und sah dabei die Zofe an. In Anbetracht der zarten Konstitution des Mädchens war es erstaunlich, wie ungerührt Annie angesichts Victorias heimlicher nächtlicher Eskapaden mit dem Duke war. Doch dann fielen ihr Andeutungen ein, Byrons ausschweifenden Großonkel betreffend, und sie korrigierte sich. Vielleicht war Annie das schlicht gewohnt.
    »Arbeiten Sie schon lange hier?«, fragte Victoria. »Ja, Mylady, mein ganzes Leben lang. Ich bin hier geboren worden. Meine Mutter war hier Hausmädchen.« Annies übliche Anspannung schien sich bei dem unverfänglichen Thema zu lösen.
    »Sie wurden hier geboren? Hier im Haus?«, wiederholte Victoria.
    »Ja.« Annie nickte. »Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, also habe ich mich irgendwie allein groß gezogen, aber es war immer jemand da, der nach mir geschaut hat.«
    Victoria hatte nie zuvor gehört, dass ein Hausherr ein verheiratetes Hausmädchen behalten hätte, geschweige denn ein schwangeres.
    »Wie ist der alte Duke denn so gewesen?«
    Zu Victorias Überraschung errötete Annie. »Oh, keiner von uns hat viel von ihm zu sehen bekommen, jedenfalls nicht, soweit ich mich erinnern kann. Seine Gnaden hat immer allein in seinem Zimmer gesessen, Gregory oder Stephen waren drau ßen vor der Tür, falls er irgendetwas gebraucht hat. Und Mrs. Peasebody hat ihm immer höchstpersönlich sein Essen auf einem Tablett gebracht, und das war alles.« Ihre Miene hatte etwas Abwesendes. »Ich denke, als er gestorben ist, hatte ich ihn nicht öfter gesehen, als ich an Jahren gezählt hab …«
    Annies Stimme verlor sich, und Victoria beließ es dabei und hing ihren eigenen Gedanken nach. Das Bild des wahnsinnigen, lüsternen Greises, wie Victoria es sich ausgemalt hatte, wollte nicht zu der neuen Information passen. Waren alle Herren von Raeburn Court solch leichtfertigen Vorurteilen ausgesetzt oder nur die letzten beiden? Der Großonkel: wahnsinnig, aber barmherzig; der Neffe: den Schurken spielend, aber in Wirklichkeit... was? Victoria musste sich eingestehen, dass sie es immer noch nicht wusste.
    Sie fragte sich, ob der jetzige Duke wohl dem alten Duke ähnelte. Sonderbare Männer mit düsterem Ruf, die in den vermoderten Resten eines großen Herrenhauses lebten … Würde in dreißig Jahren der Nächste das Erbe dieser zügellosen Wahnsinnigen antreten, worin auch immer es bestand? Victoria schüttelte den Kopf, unfähig, sich das vorzustellen. Bereits ihr Raeburn trat aus dem Schatten seines Vorgängers und baute ein unheimliches, schönes Haus, das, verglichen mit Raeburn Court, nicht andersartiger hätte sein können.
    Ihr Raeburn. Wie war nur dieses Pronomen in ihre Gedanken geraten, und was hatte das zu bedeuten? Sie runzelte die Stirn und aß von den Eiern. Nur dass er der Raeburn war, den sie kannte, entschied sie. Es konnte schließlich nicht anders heißen.
    Und dennoch war sie mit der Antwort seltsam unzufrieden und kaute den ersten Bissen von ihrem dicken gebutterten Toast.
     
    Victoria ging durch den Garten und fühlte sich trotz der kargen Umgebung erfrischt. Das Stück Land einen Garten zu nennen, war einigermaßen großzügig. Das Gewirr aus ins Kraut schießenden Hecken und halb zugewachsenen Wegen hatte nur entfernt mit einem Garten zu tun.
    Sie hatte im Einhorn-Zimmer ein richtig heißes Bad vorgefunden, und Annie hatte ihre Kleider mitgenommen, während sie in der Wanne gesessen hatte. Als sie fertig war, hatte sie frische Wäsche vorgefunden, darunter die eigenen schwarzen Strümpfe, wie Raeburn es ihr versprochen hatte, und das lavendelblaue Kleid war ausgebürstet und aufgebügelt worden.
    Auch wenn der Garten nicht schön war, der Tag war es gewiss. Nachdem es den ganzen Vormittag über immer wieder genieselt hatte, hatte die Sonne jetzt die letzten Wolken vertrieben, und der Himmel leuchtete blau und mit der glockenreinen Klarheit des Frühherbsts. Drosseln flatterten im Gebüsch herum, und es raschelte im Unterholz, als Victoria sich näherte und kleines Getier

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