Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
die Ferne. »Ach, waren das Tage! Die eine Hälfte des Hauses war zwar auch nicht besser als jetzt, aber die Gärten... oh, waren die Gärten schön. Seine Gnaden war sehr spe-zi- ell , was den Garten anging. Es gab eine Armee von Gärtnern, und jedes Jahr wurde gepflanzt und gedüngt, gestutzt und kompostiert. Die Gärten waren in ganz England berühmt, und die größten Gartenbauer haben das ihre getan.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber das ist lange her, und jetzt komm ich wegen der Erinnerungen her, dumme alte Frau, die ich bin. Und ich pflege mir meine Lieblingsecke, so wie ich sie erinnere.«
»Sie ist wunderschön. Und traurig.« Victoria staunte, weil sie es wirklich so meinte.
Die Haushälterin goss sich eine frische Tasse Tee ein und stockte. »Entschuldigen Sie, meine Liebe. Ich hatte nicht vor, vor Ihnen was zu trinken, als wäre ich die Königin.«
»Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an.« Victoria wies auf die Teetasse, und die Miene der Haushälterin wechselte von leidend zu erfreut.
»Sie sind eine Gute, Eure Ladyschaft, wenn ich das sagen darf.« Sie nahm einen Schluck Tee und kehrte zum eigentlichen Thema zurück. »Ich bin natürlich nur eine alte Frau, die alles romantischer macht, als es war. Der Garten ist immer noch ein guter Platz für einen Spaziergang nach dem Essen, und wenn das Wetter gut ist, ist das hier ein schöner Fleck zum Teetrinken.« Sie wechselte plötzlich das Thema. »Ich hoffe, Sie kommen mit Annie zurecht.«
»So gut ich kann«, sagte Victoria leicht amüsiert. »Sie hat immer noch Angst vor mir. Ich frage mich manchmal, ob mir ein zweiter Kopf gewachsen ist, ohne dass ich es bemerkt habe.«
Mrs. Peasebody wedelte mit der fleischigen Hand. »Das ist einfach nur Annies Art. Sie war immer schon etwas seltsam im Kopf, aber sie ist ein nettes Mädchen. Ihre Mutter war hier Hausmädchen, und ihr Vater...« Sie pausierte und beugte sich verschwörerisch nach vorn. »Also, es ist nicht gut, über Tote Gerüchte zu verbreiten, aber es heißt, ihr Vater sei der verstorbene Duke gewesen.« Sie lehnte sich zurück und schien zu wissen, welch erstaunliche Neuigkeit sie da erzählt hatte.
»Oh«, sagte Victoria, der die freimütige Mitteilung die Sprache verschlug. »Dann … dann gibt es hier vermutlich auch noch andere Abkömmlinge...«
Mrs. Peasebody grinste. »Könnte man glauben, nicht wahr? Aber sie ist die Einzige. Es gab zwar noch ein Mädchen aus Weatherlea, die eine Woche lang hier war und dem Duke vier Monate später geschrieben hat, sie bekäme ein Kind. Der Duke hat sie großzügig bezahlt, so wie es seine Art war, aber ich habe das Kind gesehen, und ich sage Ihnen, es war dem Burschen, den dieses Mädchen drei Wochen später geheiratet hat, wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Ich verstehe«, sagte Victoria.
»Also, der jetzige Duke … ist anders.« Mrs. Peasebody sah Victoria streng an. »Er hat nicht ein einziges Mädchen aus einem der Dörfer oder der Stadt hier gehabt, trotz allem, was man sich über sein Londoner Leben erzählt. Er ist ein Tiefgründiger, tiefer als sein Onkel es je war. Sie sollten sich in Acht nehmen, Liebes, weil er, glaube ich, nicht weiß, was er tut.« Sie leerte mit einem letzten Schluck ihre Teetasse, dann schaute sie auf die abgenutzte Taschenuhr, die an ihrer Brust baumelte. »Ach, du meine Güte, nun sieh einer die Zeit an. Ich finde einfach kein Ende, nicht wahr, Mylady?« Sie räumte alles auf ihr Tablett und nahm es im Aufstehen hoch. »Den ganzen Nachmittag zu verplappern! Aber die Pflicht ruft -und keiner kann mich was anderes als pflichtbewusst nennen. Auf Wiedersehen, Eure Ladyschaft, und genießen Sie den Rest Ihres Spaziergangs.«
Und damit war sie fort.
Victoria blieb allein auf der plötzlich verlassenen Lichtung zurück, den Kopf voller neuer Gedanken. Annie war in gewisser Weise also Raeburns Cousine. Sie fragte sich, ob er das wusste. Oder ob es ihn kümmerte. Sie zuckte die Schultern. Auf Rushworth gab es vermutlich das eine oder andere Hausmädchen, dem ihr Vater zu nahe gekommen war. Und sie hatte in drei verschiedenen Fällen zwischen ihrem Vater und ihrem Bruder vermittelt, wenn wieder eine der jungen Frauen aus dem Dorf mit der Behauptung erschienen war, Jack sei der Vater ihres Kindes. Es hatte sie nie wirklich gekümmert, dass einige der Kinder eines Mannes im Luxus aufwuchsen, während die anderen auf der Straße zum Betteln gingen, doch jetzt erschien es ihr sonderbar beunruhigend.
Victoria stand auf und
Weitere Kostenlose Bücher