Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
meinte, vielleicht sogar ernster, als ihr selbst klar war. Er fragte sich, ob ihre Ungezwungenheit die Rückreise nach Rushworth überleben würde. Schließlich waren Gewohnheiten Fesseln, die selbst für den Entschlossensten schwer abzuschütteln waren, und Victoria schien sich nicht darüber im Klaren zu sein, welche Folgen ihr Gesinnungswandel haben konnte. Doch wenn er sie so ansah, das vorgeschobene Kinn und die strahlenden Augen, konnte er nicht glauben, dass sie in ihre alte Rolle zurückfallen würde, was immer auch passierte.
Doch von alledem sagte er nichts, sondern schluckte nur ein Stück Zunge und erwiderte: »Elegant formuliert.«
Sie sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Sie täten gut daran, nicht zu lachen.«
»Lache ich denn?«, wollte Byron wissen.
»Sie haben diesen entrückten Gesichtsausdruck, was heißt, dass Sie etwas verbergen.«
»Und Sie glauben, es handle sich um Belustigung.« Er lächelte matt. »Nein, ich finde das nicht lustig. Sie erklären, dass Sie sich zu sehr um die Meinung anderer Leute gekümmert haben, und im nächsten Atemzug kümmert es Sie, was ich denke.«
Victoria seufzte, und ihre Miene entspannte sich. »Ein erbärmlicher Start, würde ich sagen.«
»Nicht erbärmlich, sondern natürlich.« Er griff über den Tisch nach ihrer schmalen Hand. »Und ich habe mich nicht amüsiert, sondern mich gefragt, welches Aufsehen Sie verursachen würden, wenn Sie in die Gesellschaft zurückkehrten und … und sich um nichts mehr scherten.«
Victoria hob spöttisch ihr Weinglas. »Was für eine Aussicht! Ich als Londoner Stadtgespräch. Die Frau, die alle schockiert, von Billingsgate bis zum Buckingham-Palast.«
Er hatte es tatsächlich vor Augen, stellte er fest. Der Anblick hatte einen verführerischen Reiz, doch genau dieser Reiz ließ ihn zurückfahren, als habe ihn etwas gestochen. Nein, er hatte genug davon, den Gebieter der Nacht und der Schatten zu spielen, den mysteriösen Gast, den dunklen Duke. Er hatte keine Lust mehr auf wehende Umhänge und vage Andeutungen und erst recht nicht auf das Geflüster, das umso lauter wurde, je normaler er scheinen wollte. Die Maskerade mochte die jungen flatterhaften Dinger beeindrucken, aber Victoria hätte ihn nur eines einzigen abschätzigen Blickes gewürdigt, geschnaubt und kehrtgemacht. Und wie der Kaiser aus dem Märchen hätte er nackt dagestanden.
Nein, besser, er verbrachte seine Tage auf dem Land mit Schafen und Dienstboten, die sich nicht fragten, was ihr Herr war oder was er zu sein schien.
»Ich fahre nicht mehr in die Stadt«, sagte er kategorisch.
Der plumpe Satz brachte das Gespräch für den Rest des Dinners zum Erliegen. Schließlich saßen sie einander schweigend und peinlich berührt gegenüber. Byron sah zu, wie das Kerzenlicht über Victorias helles Haar spielte, während sie ihrerseits angelegentlich ihren leeren Teller betrachtete, die Lippen übellaunig verzogen.
Endlich brach Byron das Schweigen. »Ich habe heute Nachmittag mit Tom Driver gesprochen.«
Sie sah fragend zu ihm auf. »Er geht nach Leeds.«
»Ja.«
Sein Tonfall war so schneidend, dass Victoria die Augenbrauen hochzog.
Er seufzte. »Es scheint, als gingen sie alle. Alle paar Monate gibt eine Familie auf und geht nach Leeds oder London.«
»Aber nicht Ihretwegen.« Victoria sprach leise und beinahe zögerlich.
Er betrachtete seine Hände, die breit und zupackend waren wie die eines Bauern, und erinnerte sich an das, was sie über den Gang der Zeit gesagt hatte. Er hatte Tom Drivers ernstes, unglückliches Gesicht vor Augen, und in ihm kochte ein Gefühl der Ohnmacht und Frustration hoch, das ihn seit Jahren umgetrieben hatte. »Ich fühle mich, als hätte ich sie im Stich gelassen. Sie können nicht bleiben, Victoria. Die Zeiten ändern sich, und ich habe keine Ahnung, wie ich da mithalten soll. Bessere Herden und neue Anbaumethoden bringen den Pächtern mehr Geld ein, aber den Webern, den Schreinern oder den Schmieden ist damit nicht geholfen. Ich kann ihnen diese Welt nicht zurechtbiegen. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass es da draußen eine Antwort gibt. Aber ich sehe sie einfach nicht.« Er ballte die Fäuste.
»Außer um die Pächter brauchen Sie sich nicht zu kümmern«, stellte Victoria fest.
Die ruhige, vernünftige Stimme schoss durch seine sich im Kreis drehenden Gedanken, und er lächelte unwillkürlich. »Ich höre mich an, als wünschte ich mir Edward I. zurück, oder? Den Herrscher, der sein Volk mit
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