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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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für jemanden wie Sie zu simpel.«
    Sie lächelte, aber mit einer gewissen Wehmut. »Das ist keine richtige Antwort.«
    »Es ist die beste, die ich Ihnen geben kann.« Er beugte sich vor und küsste sie zart, ein bloßes Streicheln der Lippen. »Ich muss vor dem Abendessen noch mit Tom Driver reden.«
    Sie seufzte und schlug die Augen auf. »Das erinnert mich an meine eigenen Pflichten. Ich muss meiner Mutter schreiben. Dann bis zum Abendessen, Euer Gnaden.«
    »Bis zum Abendessen«, murmelte Byron. Mit einem Nicken und einem Röckerascheln war sie fort.
     
    Victoria machte die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Sie fühlte sich leer und wirr wie nie zuvor. Raeburn war ein frustrierendes Bündel aus Widersprüchen. Er schien in allem, was ihn betraf, gleichgültig zu sein; doch je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto mehr zeigte er ihr, wie mitfühlend er war, mitfühlender als jeder, den sie je gekannt hatte. Pflicht, Schönheit, sogar Liebe – sie hörte die Verbitterung heraus, wenn er darüber sprach, und auch wenn sie wusste, dass er ihr nicht alles erzählte, spürte sie doch die offenen Wunden, die unter der gleichgültigen Fassade schwärten.
    Sie schüttelte den Kopf, um die fruchtlosen Gedanken loszuwerden, und ging, in der Hoffnung, Schreibzeug und Papier vorzufinden, zu ihrem Nachttisch. Doch als sie den Tisch erreichte, wartete dort schon ein Brief auf sie. Die Morgenpost, die fast den ganzen Tag gebraucht hatte, es vom Pförtnerhaus auf ihr Zimmer zu schaffen? Es musste wohl so sein.
    Die entschlossene Handschrift gehörte ihrer Mutter, schön, aber fast unleserlich. Doch diesmal schwang eine Unsicherheit in der Schrift, die Victoria nicht gewohnt war. Ihre Mutter schien wieder einmal in der Kutsche geschrieben zu haben. Victoria brach das Siegel und setzte sich auf die tiefe Fensterbank, um im schwindenden Licht den Brief zu lesen.
     
    Ah! Meine liebe, liebste Tochter!
    Wie verzweifelt ich Dich vermisse und jede Sekunde bereue, dass wir uns nicht in glücklicherer Stimmung voneinander verabschiedet haben.
    Victoria schnaubte, so wie die Countess wieder übertrieb.
    Rushworth ist ohne Dich so einsam, genau wie ich. Ich musste all meine Verpflichtungen hier in der Grafschaft absagen, weil ich allein niemandem gegenübertreten möchte. Lady Bunting hat sehr darauf bestanden, dass ich sie zum Tee beehre – Tee! Wie ein solcher Circus einen solch hochtrabenden Namen haben kann! – aber, wie auch immer, ich musste ablehnen.
    Ich fühle mich ohne Dich so einsam. Bitte, komm schnell nach Rushworth zurück. Wir vermissen Dich alle.
    Deine liebe, Dich liebende
    Mama
    Victoria runzelte die Stirn. Das falsche Pathos hatte sie erwartet, die Wiederholungen nicht. Noch besorgniserregender war die Bezugnahme auf Lady Bunting, wer immer das sein sollte. Der alte Lord Bunting war seit drei Jahren Witwer und hatte keinerlei Absicht, wieder zu heiraten, und sein Sohn war kaum aus dem Laufstall heraus. Doch was immer auf Rushworth auch vor sich ging, es würde bis zum Ende der Woche warten müssen. Sie schüttelte den Kopf und legte den Brief weg.
    Sie fand wie erhofft in der Schublade des Tisches Papier und Schreibzeug und machte sich schnell an eine Antwort. Sie berichtete von Verhandlungen, Spaziergängen im Garten, der Hoffnung, bald wieder zurück zu sein, und von ihrer Zofe Dyer. Letzteres, der Lüge wegen, mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Sie beendete den Brief mit beschwingter Unterschrift, löschte die Tinte und faltete den Bogen, um ihn zu versiegeln, sobald die Kerze brannte und sie Wachs hatte.
    Sie sah zum Fenster hinaus. Eine schmale Gestalt plagte sich die Auffahrt herauf. Hinten an der Hauptstraße stieg über dem Dorf immer noch schwarzer Rauch auf. Doch Victorias Aufmerksamkeit galt der Fußgängerin, deren Hut den Blick auf das Gesicht verstellte, doch es musste sich um Annie handeln. Annie, die es irgendwie ins Dorf geschafft hatte, bevor die Kutsche des Dukes es hatte erreichen können. Annie, die schluchzend in den Armen ihres Onkels gelegen hatte, als solle er sie trösten, während sein Haus in Flammen aufging. Vielleicht waren ihre Tränen eher als Trost gemeint gewesen als um die Bitte darum. Wenn dem so war, dann zeigte sie ein Mitgefühl, das Victoria ganz außerordentlich erschien. Selbst wenn man die Zeit berücksichtigte, bis Raeburn gefunden und die Kutsche fahrbereit gewesen war, musste Annie förmlich geflogen sein, um ihren Onkel zu erreichen, bevor Victoria und

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