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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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dass er seine Ausbildung zu Hause absolvieren werde, obwohl Eton spezielle Vorkehrungen zugesichert hatte. Seine Mutter hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm den Wunsch abzuschlagen, und hatte den ersten einer ganzen Reihe von Lehrern engagiert.
    Byron hatte nie ein Wort darüber verloren, was zwischen ihm und Will vorgefallen war, doch der Bruch war nie verheilt. Byron hatte das nächste Jahrzehnt im Haus seiner Eltern verbracht. Er und Will hatten sich hunderte Male bei Tanzveranstaltungen und Banketten getroffen, wenn Ferien waren. Will war ihm immer aus dem Weg gegangen, hatte sich in die entlegenste Ecke des Raums verdrückt und so getan, als sei er in ein Gespräch vertieft. Einmal oder zweimal hatte Byron Will dabei ertappt, wie er ihn mit unergründlichem Gesichtsausdruck ansah, aber sie hatten nie mehr miteinander gesprochen. Nicht einmal, als Will sich mit Charlotte Littlewood verlobt hatte, der Frau, die Byron am liebsten selbst geheiratet hätte.
    Bin ich ein Dummkopf? , fragte Byron sich zum tausendsten Mal. Hatte er sich das Entsetzen dieses einen kleinen Jungen zu sehr zu Herzen genommen? Aber Will war nicht irgendein kleiner Junge gewesen. Er war Byrons bester Freund gewesen, sein einziger Freund, sein Vertrauter in fast allem. Will hatte jedes seltsame Benehmen wortlos hingenommen… bis zu jenem Augenblick der Wahrheit. Wenn schon sein bester Freund mit solcher Abscheu auf sein Leiden reagierte, wie konnte er dann von anderen erwarten, dass sie es akzeptierten?
    Insbesondere von Victoria, die nichts akzeptierte, ohne es vorher anzusehen, abzuwägen und in Einzelteile zu zerlegen.
    Dennoch, nicht einmal die frische Erinnerung an jene alte Schmach und nicht einmal der sengende Schmerz, der ihn jede Sekunde daran erinnerte, was zwischen ihnen stand, konnte ihn davon abbringen, an sie zu denken.
    Und als er schließlich in tiefen Schlaf fiel, hatten in seinem Traum alle Menschen Masken auf.

18. Kapitel
     
    Als Victoria das nächste Mal erwachte, strömte das Tageslicht durch die Fenster des Einhorn-Zimmers, und sie war wieder bis unters Kinn in Decken gepackt. Sie starrte lange Zeit nur an den Betthimmel, die Glieder zu schwer, sich zu regen.
    Das Licht und das leise Summen, das von der Feuerstelle herüberdrang, sagten ihr, dass Raeburn nicht mehr im Raum war. Victoria konnte die Enttäuschung nicht unterdrücken. Seine Anwesenheit, seine Stimme – hatte sie seine Stimme gehört? – hatten sie einen Moment lang glauben lassen, dass er ihr verziehen hatte.
    Was verziehen?, fragte sie sich. Sie hatte nichts Falsches getan, außer zu gehen. Sie hatte keine Grenzen übertreten, die er selbst nicht von Zeit zu Zeit übertrat. Doch die Erinnerung an sein verzerrtes Gesicht gab ihr die Antwort. Sie hatte ihn verletzt. So sonderbar die Vorstellung war, sie wusste, es war so.
    Doch er war ihr gefolgt. Daran klammerte sie sich. Er war ihr trotz des Streits und seiner Abneigung gegen die Sonne gefolgt. Die Schuldgefühle trafen sie wie ein Schlag. Irgendwer hatte sie von der Festung zum Herrenhaus gebracht. Es konnte nur Raeburn gewesen sein. Hatte er seinen Hut gefunden? Hatte er sich die Augen verletzt? Würde er wiederkommen?
    Die Spekulationen führten nirgendwohin. Mit plötzlicher Entschlossenheit schob sie alle Decken, bis auf die unterste, weg und setzte sich auf. Sie zuckte zusammen, als ihr Kopf gegen die Bewegung protestierte und der Knöchel pochte.
    Das Summen hörte abrupt auf, und einen Augenblick später stand Mrs. Peasebody an ihrem Bett.
    »Nein, nein, meine Liebe, Sie werden jetzt nicht aufstehen!«, rief sie.
    Ihre Blase sagte etwas anderes, was Victoria der Haushälterin auch mitteilte. Fünf Minuten später war sie wieder im Bett, diesmal allerdings in ihrem Nachtkleid und am Kopfende sitzend. Mrs. Peasebody klingelte nach dem Doktor und verbrachte die Wartezeit damit, an Victoria herumzuzupfen, bis die sich fragte, wie viel von ihrem Kopfweh vom Sturz stammte und wie viel von der Haushälterin. Aber sie beherrschte sich, weil sie wusste, dass die alte Frau es nur gut meinte. Und die Schatten unter Mrs. Peasebodys Augen zeugten von einer langen, schlaflosen Nacht ihretwegen.
    Der Doktor traf ein, als Victoria gerade die Haferschleimsuppe aß, die Mrs. Peasebody ihr aufgenötigt hatte. Victoria hatte sich nie viel aus Porridge und alledem gemacht, außerdem hatte sie heute Morgen ohnehin keinen Appetit, weswegen sie erleichtert den Löffel weglegte, als der alte Mann

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