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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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saß und das Strickzeug in den Schoß gelegt hatte. »Haben sie einander geliebt?«
    Die Haushälterin schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob man es Liebe nennen konnte. Aber das ging mich auch nichts an. Der Duke hat seinen Lebensstil jedenfalls nie geändert, und Polly schien das auch nicht zu erwarten. Aber sie waren beide sehr einsame Menschen, und nach einer Weile haben sie einander einfach verstanden, denke ich. Und als die kleine Annie auf die Welt kam und Polly ein paar Monate später gestorben ist, da hat Seine Gnaden dafür gesorgt, dass jemand sie aufzieht und sich um sie kümmert.«
    »Wusste sie, wer ihr Vater war?«
    Mrs. Peasebody zuckte die Schultern. »Keiner hat ein Geheimnis daraus gemacht, obwohl Seine Gnaden nie ein Wort gesagt hat. Er war so verschlossen wie kaum jemand. Aber am Tag, bevor er gestorben ist, hat er Annie allein zu sich kommen lassen. Ich habe sie nie gefragt, was er gesagt hat, weil mich das nichts angeht.«
    Mrs. Peasebody verfiel in Schweigen, und Victoria richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Fenster. Sie betrachtete die Auffahrt und das Dorf dahinter und dachte an die Herren von Raeburn Court.

19. Kapitel
     
    Es war früh am Tag, und das Licht, das durch die Fenster des Gartenzimmers drang, war bleich, doch Victoria sog es auf wie Nektar. Als ob es die Erinnerung an eine andere zärtlichere Berührung auslöschen könnte, als ob die Wärme die schneidende Hitze der Lust ersetzen könnte, wenn Haut auf Haut traf …
    Unter ihr erstreckte sich die Terrasse und dahinter der verwilderte Garten, durch den sie gerade drei Tage zuvor spaziert war. Victoria versuchte, all das zu vergessen. Sie richtete den Blick starr auf eine vorlaute rundliche Drossel, doch sosehr sie auch versuchte, sich auf die Neigung des kleinen grauen Kopfes zu konzentrieren, auf das Spiel der Sonne über die Federn, ihre Gedanken wanderten immer wieder zu den Schatten des Hauses zurück und zu dem Mann, der sich dort verborgen hielt. Es war vorüber, sagte sie sich wieder und wieder, doch jedes Mal rebellierte etwas in ihr, und sie wusste, es war sinnlos.
    Obwohl ihr Kopf nur noch schmerzte, wenn sie ihn zu schnell bewegte oder die Wunde berührte, fühlte sie sich wie in Schichten aus Decken gehüllt, die sie von der Welt abschnitten und alles um sie herum irreal aussehen ließen, fast wie in einem Traum. Sie lehnte sich in ihrem Rollstuhl auf das Kissen zurück. Der Rollstuhl des alten Dukes, wie Mrs. Peasebody gesagt hatte. Sie glaubte, den alten Mann immer noch riechen zu können. Die Mischung aus schalem Opium, Kampfer und Verfall schien am Korbgeflecht zu hängen, als wolle sie Victoria erinnern, dass nicht einmal der Stuhl ihr gehörte.
    »Mylady?«
    Victoria hob die blicklosen Augen und sah Annie unter der Tür stehen, ein Papier in den Händen.
    »Mylady«, wiederholte das Mädchen, »da ist ein Brief für Sie.«
    Annie durchquerte den Raum und reichte Victoria den Brief mit äußerster Behutsamkeit, als könne die kleinste Regung sie verletzen. »Ich kann Mrs. Peasebody holen, damit sie Ihnen den Brief vorliest …«
    »Nicht nötig«, versicherte Victoria. Der Umschlag trug die Handschrift ihrer Mutter, ein kleiner Beweis, dass die Welt außerhalb der Mauern Raeburn Courts noch existierte.
    »Brauchen Sie noch irgendetwas? Noch mehr Frühstück? Ein Buch?«
    »Nein, Annie. Ich habe alles, danke.«
    Annie eilte davon, und Victoria starrte eine lange Zeit den Brief an. Bald, sehr bald würde sie dem Weg des Briefes zurück nach Rushworth folgen. Bald würde sie dem Wachtraum Raeburn Courts entfliehen und wieder auf ländliche Gesellschaften gehen und schließlich, kurz darauf, zur Ballsaison nach London fahren. Erst vor zwei Tagen hatte sie von ihrem Entschluss gesprochen, nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, aber das schien ihr den Kampf nicht mehr wert zu sein. Ihre Routine hatte sich über Jahre hinweg entwickelt. Wie viel einfacher war es doch, so weiterzumachen wie bisher? Wofür lohnte es sich denn überhaupt zu kämpfen?
    Sie machte den Brief auf und stellte fest, dass Mutters Handschrift fast noch unleserlicher war als früher. Sie fing zu lesen an.
    Meine heiß geliebte Tochter,
    wie kommen die Dinge im Norden voran? Ich hatte ganz vergessen, dass Du fort bist, und habe heute Morgen nach Dir gesehen, aber Jack erinnert mich ja immer an all diese Dinge, guter Junge, der er ist.
    Ich bin heute durch den Garten gewandert und schreibe Dir von dem Aussichtspunkt

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