Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
des Schlafs zurück.
Doch an der Grenze zwischen Schlaf und Wachen glaubte sie ein Seufzen und ein Flüstern zu hören. »Ich konnte nicht anders.«
Als der Morgen anbrach, lag Byron in der Höhle seines Schlafzimmers. Erschöpfung und Schmerz hatten ihn irgendwann vor Mrs. Peasebody kapitulieren lassen, und er war in die Henry-Suite zurückgestolpert, um sich auszuruhen. Doch jetzt, auf sein Bett gestreckt, fand er keinen Schlaf. Sein Gesicht brannte trotz der kalten, feuchten Tücher, aber schlimmer noch waren die Gedanken. Sie schossen wie Hornissen durch sein Hirn, wütend und ohne Unterlass.
Warum war er zu ihr gegangen? Er hatte sie nur ganz kurz besuchen wollen – während sie schlief, so dass sie nie davon erfuhr. Aber aus dem kurzen Moment waren Minuten geworden, aus den Minuten eine Stunde, und dann war sie aufgewacht.
Und hatte ihn bemerkt.
Die Vorstellung erfüllte ihn mit etwas Unbeschreiblichem, ein sonderbares Gefühl, das seine Sinne surren ließ und seinen Verstand verwirrte. Sie hatte ihn bemerkt und seinen Namen gerufen, und er hatte... nicht reagiert. War zu keiner Reaktion fähig gewesen. Was hätte er auch sagen sollen? »Ja, ich bin hier, aber Sie haben mich zum letzten Mal gesehen.« Und wenn sie gefragt hätte, warum – warum er hier war, warum sie ihn nie mehr sehen sollte -, was hätte er antworten sollen? Der bloße Gedanke, sie anzulügen, machte ihn krank, aber die Wahrheit würde er niemals mehr eingestehen. Einmal war genug.
Die Ehrlichkeit von Kindern ist eine gefährliche Sache , dachte er bitter. Aber immerhin bewahrte sie ihn davor, erneut eine Lektion lernen zu müssen, die schon beim ersten Mal schwer zu ertragen gewesen war …
Es war ein dunkler, stürmischer Tag gewesen mit gerade genug Regen, die Forellen beißen zu lassen, aber nicht genug, die kleinen Jungs im Haus zu halten. Nur ein paar Wochen, bevor sie eingeschult wurden – in eine öffentliche Schule, die letztlich nur einer von ihnen beiden absolvieren würde -, hatten Byron und William Whitford die letzten Tage in Freiheit ausgekostet. Byron hatte schon seit Jahren unter der Erkrankung gelitten, so dass Will, sein Nachbar und bester Freund, seine exzentrischen Angewohnheiten kannte und genau wusste, dass der wolkenverhangene Tag eine der letzten Gelegenheiten bot, nach draußen zu gehen.
Wie oft hatte Byron Will in die genauen Einzelheiten seiner Erkrankung einweihen wollen! Wie oft hatte er zu sprechen begonnen und sich doch von den Bedenken seiner Mutter und seiner Kindermädchen abhalten lassen. Es war gut gewesen, dass er nichts gesagt hatte, denn dieser Sommertag würde ihm zeigen, dass sein Geheimnis zu enthüllen den Tod seiner Unschuld bedeutete.
Eingepackt bis zur Nase und einen breitkrempigen Hut auf dem Kopf, war Byron Will zu ihrer Lieblingsstelle am Fluss gefolgt und hatte sich unter die ausladenden Äste einer alten Eiche gesetzt. Sie taten eine Weile lang so, als seien sie richtige Angler. Dann fingen sie an, am Fluss herumzutollen, wie Jungen es eben tun – bis zum Knie ins Wasser waten, Steine hüpfen lassen, Stöcke um die Wette schwimmen lassen. Byron hielt sich im Schatten der Eiche und behielt den Himmel im Auge, aber der Tag schien nicht heller werden zu wollen. Schließlich hatten sie sich auf dem Bauch ins Gras gelegt und sich von ihren Plänen und Erwartungen erzählt, was die Schule anging, und darüber geschimpft, dass sie in die Fußstapfen ihrer Väter treten sollten, Byron in Eton und Will in Harrow. Dann war ihr Gespräch verebbt, und sie waren eingeschlafen.
Byron war von Schmerzen geschüttelt aufgewacht. Während er geschlafen hatte, war der Schatten des Baums weitergewandert, und die Sonne war herausgekommen und hatte ihm das halbe Gesicht, die Waden und sogar die Fußsohlen versengt. Sein Schmerzensschrei hatte Will geweckt, und während Byron zu erklären versuchte und seine Worte sich überschlagen hatten, waren Wills Augen immer größer und größer geworden, und sein Gesicht hatte sich zu einer Maske des Entsetzens verzerrt, bis er schließlich aufgesprungen und davongelaufen war.
Ein Stallbursche hatte Byron schließlich als kleines Häuflein Elend am Fuß der Eiche gefunden, das Gesicht so voller Blasen, dass er kaum den Mund aufbrachte, die Fußsohlen zu wund zum Laufen. Als Will nach Harrow gegangen war und auch in Eton die Schule begann, waren die Wunden immer noch nicht abgeheilt, doch es kümmerte Byron nicht mehr. Er hatte seiner Mutter mitgeteilt,
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