Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
schmerzte zu sehr. Die Stimme war falsch. Die kühle, sanfte Hand auf ihrer Stirn war falsch. Die Hand, die sie haben wollte, war größer und rauer, und die Stimme war ein sanftes Grollen, kein Gezwitscher.
»Wo ist er?«, stolperten die Worte über ihre Lippen. Sie musste sich an etwas Wichtiges erinnern, das vor dem Flug gewesen war, vor dem Sturz …
»Still, jetzt«, zwitscherte die Stimme wieder. »Still, jetzt, und trinken Sie das.«
Eine kalte Kante drückte sich an ihre Lippen, eine warme Flüssigkeit schwappte heran. Sie machte automatisch den Mund auf und schluckte, als die Flüssigkeit in ihre Kehle floss, schluckte und schluckte wieder. Ihre Lider wurden schwerer, zu schwer, um sie offen zu halten, aber sie kämpfte nicht, denn sie erinnerte sich an das, was zuvor geschehen war.
Sie war gegangen. Und er würde ihr niemals vergeben.
»Ich habe Sie Lady Victorias wegen rufen lassen«, sagte Byron unfreundlich. »Für mich kann Ihre Wissenschaft nichts tun.«
Dr. Merrick runzelte die Stirn, und sein Blick flackerte über Byrons verwüstetes Gesicht. »Ich könnte Ihnen einen Umschlag machen und Ihnen eine Medizin geben, die das Fieber in Schach hält. Ich bin mit den Besonderheiten der Erkrankung vertraut. Ihr Onkel hatte großes Vertrauen zu mir.«
»So gut Sie ihm auch getan haben, Ihre Umschläge brennen nur.« Byron setzte sich – fiel – auf den Schreibtischstuhl in der Henry-Suite. Er war bis auf die Knochen erschöpft, erschöpfter, als er es je für möglich gehalten hatte, und sein Gesicht fühlte sich an, als sei ein Feuer darüber gestreift. Die Uhr auf dem Kaminsims zeigte kurz nach Mitternacht. Doch ihm war, als habe sich die Müdigkeit aus zwei Jahren in diesem einen Moment vereint. »Die Medizin nehme ich, was immer es ist. Sie schien das letzte Mal einen gewissen Nutzen zu haben.«
»Sicher«, murmelte der Doktor und grub in seiner kleinen schwarzen Tasche, bis er die grüne Pulverdose gefunden hatte. »Lösen Sie einen Teelöffel davon in einem Glas Wasser oder Tee auf, und trinken Sie alle vier Stunden ein Glas.« Er stellte die Dose vor Byron auf den Tisch. »Und kalte Kompressen für das Gesicht, wenn Sie schon keine Umschläge wollen. Das lindert den Schmerz und hilft gegen das Vernarben.«
Byron starrte müßig den Tisch an. »Glauben Sie, man kann daran sterben?«
Dr. Merrick zögerte bedächtig. »An Ihrem Leiden, Euer Gnaden? Ich weiß es nicht. Möglich ist es vermutlich. Wenn Sie sehr lange Zeit an der Sonne blieben und die Verbrennungen sich entzünden. Aber ich habe das Krankheitsbild erst einmal gesehen. Bei Ihrem Onkel. Und der ist nicht daran gestorben. Man könnte sagen, es hat ihn wahnsinnig werden lassen, aber umgebracht hat es ihn nicht.«
»Na, dann.«
Byron stellte bei dem ältlichen Arzt jene Ungeduld fest, mit denen Ärzten Patienten begegneten, die sie für undiszipliniert hielten. »Es gibt keinen Grund, dass jemand mit Ihrem Leiden und Ihrem Vermögen nicht ein langes, glückliches, erfülltes Leben führen könnte. Wenn Sie sich davon verrückt machen lassen, liegt das an Ihnen.«
Byron starrte ihn finster an. Der Doktor gab es auf, doch seine Miene blieb hart. »Euer Gnaden?«, murmelte er.
Byron schüttelte den Kopf. »Das Leben eines Eremiten darf ich führen! Gute Nacht, Dr. Merrick. Ihr Zimmer ist schon längst hergerichtet, und Sie hatten bis jetzt noch keine Ruhe. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie wieder nach Lady Victoria sehen. Bis dahin, gute Nacht.«
Mit einer steifen kleinen Verbeugung überließ Merrick den Herzog seinen schwarzen Gedanken.
Dunkelheit und Licht, beides von eigenem Schmerz. Der Traum vom Laufen, manchmal wie eine angsteinflößende Flucht, manchmal mit der Seelenqual, etwas verfolgen zu müssen, das längst verloren war. Und durch den Nebel seine Stimme, wortlos, körperlos, spöttisch, nach ihr rufend; doch immer, wenn sie ankam, war er schon fort.
»Wo ist er? Wo ist er?«
»Sie scheint ein wenig fiebrig zu sein. Nicht ungewöhnlich, nach allem, was sie durchgemacht hat.«
»Still, Liebes.«
»Nichts Besorgniserregendes. Halten Sie die Dosis konstant, und es geht ihr bald wieder besser.«
»Trinken Sie das.«
»Wo ist er?«
»Das Fieber sollte bald sinken. Es scheint nichts Ernstes zu sein. Der Körper reagiert auf ein solches Trauma oft in dieser Weise«, sagte der Doktor und machte die Tür des Einhorn-Zimmers hinter sich zu.
Byron zog eine Grimasse und bereute es sofort. Obwohl er viele Stunden
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