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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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Duke.
    Sie versuchte, die Erinnerung auszuschalten und an etwas anderes zu denken, doch je schneller sie davonlief, desto entschlossener kam sie ihr nach. Also kämpfte sie darum, richtig wach zu werden, aber die Müdigkeit zog sie immer wieder zurück.
    Sie wusste nicht, wie viel später es war, als hinter ihren Lidern alles nur noch schwarz war. Der Anblick reichte, sie aus dem Schlaf zu reißen. Ihre Augen flogen auf, doch im kaum noch vorhandenen Schein des Feuers konnte sie nichts erkennen. Dennoch, als sie angestrengt die finsterste Ecke des Raums studierte, wo sie schon einmal Raeburns Anwesenheit gespürt hatte – oder hatte sie sich das nur eingebildet? -, glaubte sie, einen Schatten ausmachen zu können, der sich nicht durch das Zusammentreffen der Wände erklären ließ.
    Lange Zeit lag sie einfach nur da und beobachtete ihn. Dieses Mal, schwor sie sich, würde sie nicht als Erste sprechen. Dieses Mal musste er das atemlose Schweigen brechen – falls er wirklich da war.
    Die Kohlen im Kamin gerieten ins Rutschen, als ein unsichtbarer Holzscheit brach, und Victoria fuhr hoch. Für einen kurzen Moment erhellten Funken die Dunkelheit, gerade genug, um dem Schatten in der Ecke einen Umriss zu geben, der zu deutlich war, um der Einbildung zu entstammen, und sie wusste, dass er es war.
    »Sie haben gesagt, wir würden einander nicht mehr begegnen«, sagte sie, bevor sie es noch verhindern konnte.
    »Ich habe gesagt, Sie würden mich nicht mehr sehen.« Die Stimme, die sonderbar rau war, aber unverkennbar die seine, durchzuckte sie förmlich.
    »Und das kann ich auch nicht.« Freude, Erleichterung und Angst mischten sich, und sie hätte nicht zu sagen vermocht, was dominierte.
    »Ich weiß.« Raeburn verließ seine Ecke, sein schwarzer Umriss bewegte sich an ihr Bett.
    Victoria mühte sich, sich aufzusetzen, doch er legte ihr die Hand auf die Schulter und hinderte sie daran. Die Berührung ließ sie unwillkürlich keuchen, und sie fasste nach der Hand, dem ersten greifbaren Beweis seiner Anwesenheit seit ihrem Sturz. Er drehte die Handfläche nach oben, weg von der Schulter und legte seine Hand um ihre. Sein Griff war fest, und ein kleiner zittriger Teil von ihr beruhigte sich.
    »Warum sind Sie hier?« Die Frage sollte wie ein Befehl klingen, doch sie brachte kaum mehr als ein Flüstern heraus.
    Sein Griff wurde fester. »Ich musste einfach zu Ihnen kommen.«
    Victoria lachte verunsichert. »Sie haben Ihr Wort nicht gebrochen, ich kann Sie nicht sehen.«
    Sie spürte, wie er zusammenfuhr, hörte ganz kurz seine Kleider rascheln. »Sie haben mich gefragt, warum ich das Licht meide.«
    Victoria schüttelte den Kopf, obwohl sie wusste, dass er es nicht sehen konnte. Ihre Kehle wurde eng. »Was spielt das für eine Rolle? Ich bin noch eine Hand voll Tage hier, dann verschwinde ich für immer. Warum sollte ich es wissen wollen?«
    In ihren Worten lag eine Verbitterung, die sie gewiss nicht beabsichtigt hatte.
    »Aber gestern wollten Sie es noch wissen.« »Ja.« Die einsilbige Antwort hörte sich gezwungen an, auch für sie selbst.
    »Und wollen Sie das immer noch?«, fuhr er fort, bevor sie etwas hinzufügen konnte. »Ich frage nicht, ob Sie es wollen sollten – sondern ob Sie es tun.«
    Victoria schluckte. »Ich will.«
    »Dann zeige ich es Ihnen.«
    »Raeburn«, fing sie an, doch er hatte bereits ihre Hand losgelassen, und einen Augenblick später flammte ein Zunderholz auf. »Ich habe es aufgegeben, Sie brauchen mir nicht...«
    Doch dann berührte das Zunderholz den Docht der Öllampe, der aufflammte und goldenes Licht verbreitete. Nach einem kurzen Augenblick der Blindheit tauchte Raeburns Gesicht vor ihr auf, die argwöhnischen Haselnussaugen, die Hakennase, der harte Mund … und über allem aufgesprungene rote Haut und blasse Brandblasen, die die vertrauten Gesichtszüge aufquellen ließen und ins Groteske verunstalteten.
    »Mein Gott«, keuchte Victoria, und ihr Magen rebellierte. Sie streckte automatisch die Hand nach ihm aus und fuhr zusammen, als er zurückzuckte. Sein Mund wurde noch härter, und in seinen Augen blitzte so etwas wie Schmerz oder Vorwurf. »Mein Gott. Raeburn, ich wusste ja nicht – ich hätte nie … an so etwas... gedacht.« Ihr eigenes Gesicht verzerrte sich vor Mitleid, und sie ballte die Hände zu Fäusten und grub sie ins Bettzeug, um sich daran zu hindern, noch einmal nach ihm zu greifen. »Ich schwöre, ich wollte nichts Böses; ich schwöre, ich wollte Ihnen nie

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