Rebellin unter Feen
»Ach, Liebes. Also deshalb wollte die Königin in jener Nacht, als sie dich holte, nicht, dass ich mitkomme.«
»Sie hat mich geholt?« Klinge setzte sich erneut auf, ohne auf das Pochen in ihrem Schädel zu achten. »Wann war das?«
»Du kannst nicht viel älter gewesen sein als Linde jetzt. Die Königin stand eines Abends vor meiner Tür und nahm dich für eine Weile mit. Sie wollte mir nicht sagen warum, aber als siedich zurückbrachte, schien dir nichts zu fehlen, deshalb …« Die Stimme versagte ihr. »Verzeih mir, Klinge.«
»Schon gut, ich erinnere mich ja gar nicht mehr daran.« Doch Klinge griff sich, während sie das sagte, mit der Hand an den Bauch und spürte einen kurzen Moment lang wieder die sengenden Schmerzen der vergangenen Nacht. »Ist Linde eigentlich hier?«
»Klinge, du kannst jetzt nicht … leg dich bitte wieder hin!« Winka lief aufgeregt um sie herum und wollte ihr eine Decke um die Schultern hängen, doch sie war zu klein und ihre Arme zu kurz. »Es ist zu kalt und noch zu früh. Baldriana meinte, du solltest erst morgen aufstehen …«
»Mir fehlt nichts«, erwiderte Klinge kurz. In Wirklichkeit war ihr zumute, als sei sie die Wendeltreppe über alle neun Stockwerke hinuntergefallen. Steifbeinig trat sie an Lindes Wiege.
Sie betrachtete Lindes Gesicht forschend, musste aber zugeben, dass die Schrecken der vergangenen Nacht offenbar keine Spuren hinterlassen hatten. Lindes Wangen sahen röter aus als gewöhnlich, und an ihren Ohrläppchen schälte sich die Haut, aber ansonsten – Klinge schlug die Zudecke zurück, um ganz sicher zu gehen – ansonsten war sie unverändert.
»Man sieht nichts, oder?«, fragte Winka.
Klinge schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß, dass die Königin etwas mit ihr angestellt hat.« Und ich werde herausfinden, was, dachte sie den Satz stumm zu Ende.
Nach einem weiteren Ruhetag und zweimaliger Einnahme von Baldrianas schrecklicher Arznei fühlte sich Klinge fast wieder hergestellt. Natürlich half ihr, dass Winka die ganze Zeit bei ihr blieb und dafür sorgte, dass sie und Linde es warm hatten, genügend zu essen bekamen und ungestört blieben.
Die einzige Ruhestörung kam von Dorna, die gegen Mittag auftauchte, Klinge eindringlich musterte und leise etwas zu Winka sagte. Dann ging sie mit kaum verhohlener Ungeduld. Als Klinge fragte, was sie gewollt habe, schüttelte Winka nur den Kopf und meinte, das könne warten, bis es Klinge besser gehe.
Der Tag der Wintersonnenwende kam, und die Eiche erzitterte unter dem hektischen Treiben ihrer Bewohner. In Vorbereitung der Feier eilten die Feen die Wendeltreppe rauf und runter. Einige hängten in den Gängen Girlanden aus Perlen und getrockneten Beeren auf, andere zündeten Messinglaternen an und stellten sie an geeigneten Orten auf. Pechnelke und ihre Helferinnen schmückten den Speisesaal mit Stoffen und Wandteppichen aus dem Magazin. Winka öffnete auf Amaryllis’ Geheiß die Schränke, in denen die schönsten Kleider aus dem magischen Zeitalter aufbewahrt wurden, und half den eifrigen Eichenfeen beim Anziehen.
Klinge dagegen verbrachte den Tag überwiegend in ihrem Zimmer, unterhielt Linde, so gut sie konnte, und blätterte nebenbei durch ein Buch mit dem Titel Über Wesen und Einsatz magischer Kräfte. Sie hatte es in der Bibliothek gefunden – ganz ohne die Hilfe Pechnelkes, die Klinge geflissentlich ignorierte –, und obwohl sie nicht genau sagen konnte, was für einen Zauber die Königin mit Linde vorgehabt hatte, erfuhr sie doch eine Menge Neues über Zauberei.
Am späten Nachmittag stürzte Winka atemlos und triumphierend ins Zimmer. In den Armen hielt sie ein Kleid aus gelber Seide. »Das will ich schon seit Jahren anprobieren!«, rief sie. Sie schüttelte das Kleid aus und hielt es vor sich hin. »Glaubst du, es steht mir?«
»Bestimmt.« Klinge klang nicht sonderlich interessiert.
»Es ist so schade.« Winka seufzte. »Diese Kleider halten natürlichtrotz sorgfältigster Behandlung nicht ewig. Und wenn es sie einmal nicht mehr gibt, weiß niemand mehr, wie sie ausgesehen haben.« Sie hängte sich das Kleid über den Arm. »Was trägst du zur Feier? Dasselbe wie letztes Jahr?«
»Natürlich.« Klinge war seit ihrer ersten Vorstellung bei der Königin noch mehr gewachsen, und die Kleider aus den alten Schränken passten ihr nicht mehr. Außerdem fand sie ihre schlichte Bluse mit Rock sowieso bequemer als ein Korsett und einen mehrschichtigen Unterrock. »Aber hör dir das an«, sagte
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