Rebellin unter Feen
schließlich.
»Was? Oh – ja. Sogar mehrere Male.« Klinge las einige Absätze weiter, dann fügte sie langsam hinzu: »Es klingt, als hätten sie sich … angefreundet.«
»Du klingst überrascht«, sagte Paul.
Klinge lächelte traurig. »Wahrscheinlich bin ich das auch.« Sie hatte ihre Freundschaft mit Paul für etwas Besonderes, in der Geschichte der Eiche vielleicht sogar Einmaliges gehalten. Aber wenn Heide sich ähnlich gut mit Philip verstanden hatte, ähnelten sich Menschen und Feen womöglich mehr, als sie vermutet hatte … und was sie davon halten sollte, wusste sie nicht.
Ich sitze hier inmitten von Rosen – Lilie behauptet, sie hätte noch nie so schöne gesehen. Ihr Duft hüllt mich beim Schreiben ein. Ein munterer kleiner Botenjunge brachte sie mir heute Morgen an die Tür. Er verbeugte sich artig und überreichte sie mir zusammen mit folgender Karte:
Empfange, Muse, diese Rosen,
Und lies darin des Himmels Poesie.
Kein Sterblicher kann jemals dichten
Ein Sonett, das süßer klingt als sie.
Das ist vielleicht nicht so gut wie Mr Waverleys übrige Gedichte, aber es hat mich trotzdem außerordentlich erfreut.
»Und wie geht es weiter?«, wollte Paul wissen.
»Heide … fängt an, Gedichte zu schreiben.« Klinge betrachtete die nächste Seite mit ihren vielen ausgestrichenen Zeilen und Listen von Reimwörtern. »Eigene Gedichte.«
»Dann hattest du recht«, sagte Paul und stieß sie mit dem Ellbogen an. »Die Feen lassen sich von uns inspirieren.«
»Ja, nur …« Klinge wich ein wenig vor ihm zurück. Sie war nervös, ohne zu wissen, warum. »Ich weiß immer noch nicht, was Heide dort überhaupt zu suchen hat und inwiefern das, was sie tut, der Eiche hilft. Es ist ja schön und gut, Gedichte zu schreiben, aber was für einen Nutzen hat es?«
»Dasselbe könnte man von Bildern sagen«, gab Paul zu bedenken.
Klinge nickte. »Ich weiß, aber das meine ich nicht …« Ihr Blick wanderte die Seite hinunter, und plötzlich verstummte sie und umklammerte das Tagebuch. »Nein«, flüsterte sie, »nein, nein, nein …«
»Was ist?«, fragte Paul scharf, aber Klinge konnte ihm nicht antworten.
Trotz all meiner Hoffnungen und Wünsche und obwohl ich meinem Volk unbedingt helfen will, hätte ich nie gedacht, dass es dazu kommen würde:
Philip Waverley hat mich gefragt, ob ich seine Frau werden will. Und ich …
Das war verrückt und absolut unmöglich, dachte Klinge, bestimmt hatte sie etwas falsch verstanden. Doch noch bevor sie auf die nächste Seite blätterte, wusste sie, was sie dort lesen würde.
… ich habe ja gesagt.
ACHTZEHN
Klinges Wangen brannten, und ihre Hände, die das Tagebuch hielten, zitterten. Am liebsten hätte sie es zugeklappt und weit weg geworfen, aber es war zu spät. Heides Worte hatten sich in ihren Kopf eingebrannt und nichts konnte sie mehr löschen.
Hatten die Eichenfeen sich zu Heides Zeit auf diese Weise bei ihren menschlichen Wohltätern revanchiert – indem sie sich ihnen mit Leib und Seele verschrieben und sie heirateten? Aber Philip Waverley hatte gar nicht gewusst, dass er eine Fee heiratete, er hatte Heide für eine ganz normale Frau gehalten. War Heide bereit gewesen, die Täuschung ein ganzes Menschenleben lang aufrechtzuhalten? Hatte sie wirklich geglaubt, die dichterischen Fähigkeiten, die sie mit Philips Hilfe entwickelt hatte, oder auch das Vergnügen seiner Freundschaft seien ein solches Opfer wert?
Doch Spekulieren führte zu nichts, sie musste es genau wissen. Sie verdrängte Pauls neugierigen Blick, das Brummen des Motors und die draußen vorbeiziehenden, mit Bäumen gesäumten Hügel, beugte sich über das Tagebuch und blätterte so schnell um, wie sie lesen konnte.
Heide hielt Wort: Sie heiratete Philip wenig später und zog zu ihm nach Waverley Hall. Mit ihr an seiner Seite blühten seine dichterischen Fähigkeiten auf. Gegen Ende ihres ersten gemeinsamen Jahres schrieb Heide:
Ich wollte erst davon sprechen, wenn ich es ganz sicher weiß, doch jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Ich bin schwanger mit einem Menschenkind, einem Sohn. Philip wird entzückt sein!
Klinge drückte die Hand an die Schläfe und spürte mit den Fingerspitzen, wie ihr Herz pochte. Dass eine Fee ein Menschenkind empfangen, austragen und gebären konnte, ohne daran zu sterben – nicht im Traum hätte sie das für möglich gehalten. Heide betrachtete es offenbar als etwas ganz Natürliches. Sie hatte noch kein einziges
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