Rebellin unter Feen
Mal von Eiern gesprochen.
Fieberhaft blätterte Klinge durch die zweite Hälfte des Tagebuchs. Sie überschlug die Geburt von Heides Sohn James und die mütterlichen Anekdoten der folgenden Monate, bis sie zu folgender Stelle kam:
Ich habe etwas getan, das ich mir nie zugetraut hätte. Doch im Herzen weiß ich, dass es richtig war und sein sollte. Heute Abend habe ich mein Gewissen erleichtert und Philip alles erzählt.
Er weiß jetzt, dass seine geliebte Frau und Muse in Wirklichkeit eine Fee ist und dass die Tochter, die unsichtbar in mir heranwächst, ebenfalls eine Fee sein wird. Er weiß auch, dass ich vor ihrer Geburt zur Eiche zurückkehren muss, denn kein mit Zauberkraft begabtes Feenkind kann ohne den Schutz und die Anleitung von Seinesgleichen aufwachsen – Dinge, die ich ihm in meiner menschlichen Gestalt nicht geben kann.
Mein lieber Philip hörte mir schweigend bis zum Ende zu, obwohl ich merkte, dass er zutiefst erschüttert war. Er zweifelte nicht an der Wahrheit meiner Worte, denn ich tat alles, um ihn davon zu überzeugen. Doch sogar mein Versprechen, gleich nach der Geburt unserer Tochter nach Waverley zurückzukehren, konnte ihn nicht trösten.
Endlich beendete ich mein Geständnis und warf mich ihm weinend zu Füßen. Ich fürchtete, er würde mich verstoßen und aus seiner Gegenwart verbannen. Doch die große Gärtnerin war mir gnädig. Er hob mich auf und schloss mich in die Arme. Da wusste ich, dass er mich trotz allem immer noch liebte und dass seine Treue belohnt werden musste …
»Ich glaube, ich habe für meine Geduld eine Medaille verdient«, sagte Paul an niemanden gerichtet.
Das Auto schien auf einmal zu klein für sie beide und Klinge konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen. Sie lehnte gegen die Beifahrertür und drückte die Stirn an die von der Sonne erwärmte Scheibe. »Entschuldige«, sagte sie, »aber das ist einfach zu viel. Ich kann nicht darüber sprechen.«
Stille. Sie sah Paul verstohlen an und bemerkte seine zusammengepressten Lippen und wie er mit den Händen das Lenkrad umklammerte. Offenbar hatte sie ihn gekränkt.
»Es liegt nicht an dir«, fügte sie hastig hinzu. »Ich vertraue dir, nur …«
Nur dass nichts von dem stimmte, was sie einmal über Feen und Menschen und über Paul und sich selbst zu wissen geglaubt hatte. Sie hatte geglaubt, sie könnten einfach für immer Freunde sein. Doch jetzt, wo sie wusste, was vor der großen Spaltung möglich gewesen war – wie konnte sie seine Gesellschaft jemals wieder unbeschwert genießen?
Paul seufzte. »Lass mal, es ist schon in Ordnung. Ich bin zwar neugierig, aber ich sterbe nicht vor Neugier. Und es geht mich ja auch eigentlich gar nichts an.«
Er zuckte die Schultern. Klinge merkte, dass er ihre Gefühle schonen wollte, und hielt es nicht mehr aus.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, platzte sie heraus. Sie umklammerte ihre Ellbogen und wiegte sich unglücklich vor und zurück. »Die große Spaltung hat mein Volk so sehr verändert, dass ich nicht weiß, wie wir das je wieder hinkriegen sollen. Alles, wasuns fehlt und was wir vergessen haben – wir können es uns nicht zurückholen, jedenfalls nicht, solange wir nicht zaubern können. Und Pechnelke hat jetzt auch die Schweigekrankheit bekommen, und wir werden alle daran sterben, ich, Linde, Winka, Dorna und die anderen …«
Paul griff mit der Hand nach einem Hebel unter dem Lenkrad. Das Auto bog von der Straße ab und kam holpernd an der Böschung zum Stehen. Ein anderes Auto raste an ihnen vorbei. Er sah Klinge an. »Nein«, sagte er heftig.
Klinge zuckte zusammen, aber er fasste sie an den Schultern und fuhr fort: »Ich weiß nicht, was du in dem Tagebuch gelesen hast, aber es zählt nicht. Selbst wenn du nicht mehr so leben kannst wie früher, heißt das etwa, dass es keine Hoffnung mehr gibt? Sieh dich an, Klinge! Denk an die vielen Dinge, die du getan hast, ohne zaubern zu können. Und überleg mal: Wie viele Leute wären jetzt schon tot, wenn es dich nicht gäbe?« Er senkte die Stimme und fügte hinzu: »Einschließlich mir.«
»Aber die Schweigekrankheit …«
»Es gibt sie, ja, und das mit Pechnelke tut mir leid. Aber sie ist noch nicht tot, und es besteht immer noch die Möglichkeit, dass du oder ein anderer ein Heilmittel findet.« Paul strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. »Du bist eine Kämpfernatur, Klinge. Gib jetzt nicht auf.«
Klinge nickte zögernd. Paul zog sie an sich, und sie schloss die Augen, legte den Kopf
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