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Rebellin unter Feen

Titel: Rebellin unter Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. J. Anderson
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der Menschen gehalten. Doch als sie Pauls Lippen auf den ihren spürte, schien es auf einmal die natürlichste Sache der Welt. Die Arme, mit denen er sie umschlang, fühlten sich stark an wie eine Eiche und warm wie Feuer. Sie schmolz in ihnen dahin und legte die Finger an seine Wangen. Also das hatte Heide zu Philip Waverley hingezogen, dachte sie mit ihrem letzten bewussten Gedanken, nicht die Verpflichtung und auch nicht die Freundschaft, sondern …
    Nein!
    Sie erstarrte und machte sich von Paul los. Die eine Hand hielt sie sich vor das Gesicht, das zu brennen schien, mit der anderen suchte sie hektisch nach dem Türgriff.
    »Klinge? Was …«
    »Ich kann nicht«, rief sie und warf sich mit ihrem Gewicht gegen die Tür. Die Tür ging auf, und sie fiel nach draußen ins Gras. Ihr Knöchel knickte um und Schmerzen fuhren durch ihr Bein, aber sie achtete nicht darauf. Taumelnd entfernte sie sich vom Auto in Richtung Eichenwald.
    »Klinge!«
    Die Tür schlug hinter ihr zu, und der Motor begann zu brummen. Klinge hinkte über das Gras, während Paul rückwärts aufdie Straße fuhr. »Ich wollte schon sagen, es tut mir leid«, rief er durchs Fenster. »Aber das wäre gelogen, deshalb sage ich nur – leb wohl.«
    Klinge blieb stehen, und er fuhr an ihr vorbei und beschleunigte. Sie sah ihm nach, bis er in der Ferne verschwunden war. Dann ging sie wie in Trance weiter – und trat mit dem Fuß in ein Loch. Sie stolperte, und wieder schossen ihr unerträgliche Schmerzen durch den Knöchel. Sie streckte die Hände aus, um den Sturz abzufangen.
    Im nächsten Augenblick bemerkte sie, dass etwas fehlte. Entsetzt blickte sie auf ihre leeren, von der Erde schmutzigen Handflächen hinunter.
    »Bei der Gärtnerin!«, schrie sie zum Himmel gewandt. »Ich habe das Tagebuch in seinem blöden, stinkenden Auto liegen lassen!«
    Kaum hatte sie das gesagt, spürte sie ein Kribbeln am ganzen Leib und die Umgebung schlug turmhoch über ihr zusammen. Von Schwindel erfasst verharrte sie einen Moment lang regungslos. Die Verwandlung war so grausam schnell vor sich gegangen. Dann fiel sie auf die Knie, schlug die Hände vor das Gesicht und begann zu weinen.

 
    NEUNZEHN
     
    Klinge wischte sich die Tränen aus den Augen und zwang sich aufzustehen. Sie konnte mit ihrem verstauchten Knöchel kaum auftreten. Grimmig entschlossen stieg sie die Böschung zur Straße hinauf. Erst nach einigen schmerzhaften Schritten fiel ihr ein, dass sie ja wieder eine Fee war und nicht zu gehen brauchte.
    Sie bewegte die Schultern, spürte ihre Flügel aber kaum noch. Sie waren verkümmert, so leicht wie getrocknete Blätter und fast genauso spröde. Klinge musste sich mit aller Macht darauf konzentrieren, vom Boden abzuheben, und als sie in der Luft schwebte, landete sie schon nach einer kurzen Strecke wieder auf den Füßen. Durch ihre zweite Verwandlung in einen Menschen hatte sie so gut wie alle Zauberkraft aufgebraucht, die sie zu einer Fee machte.
    Sie beschloss, den Heimweg zu Fuß anzutreten und zwischendurch immer wieder ein Stück zu schweben. Sie war erst ein kurzes Stück gegangen, da sah sie eine riesige tote Krähe auf der Straße liegen. Offenbar hatte ein Auto sie überfahren. Mit vor Ekel gerümpfter Nase hinkte Klinge an ihr vorbei – dann blieb sie doch stehen.
    Vor ihr lag nicht irgendeine Krähe, sondern der alte Wermut.
    Eigentlich hätte sie über seinen Tod erleichtert sein müssen. Stattdessen war sie enttäuscht und hatte fast schon Mitleid. Siehatte sich immer vorgestellt, dass sie ihn zu einem letzten Kampf treffen und ihn unter Einsatz ihres ganzen Geschicks töten würde, wie er es verdiente. Das ging jetzt nicht mehr, denn die Menschen waren ihr zuvorgekommen. Sie hatten ihn nicht einmal absichtlich getötet.
    Vor ihren Füßen lag eine Brustfeder der Krähe. Klinge hob sie auf und steckte sie sich in den Gürtel. Dann breitete sie erneut die Flügel aus und setzte ihren mühsamen Heimweg fort.
     
    »Oh!«, rief Winka erschrocken und ließ das Nähzeug fallen, als Klinge bei ihr durchs Fenster stieg. »Was machst du denn hier? Du solltest doch erst …« Sie brach ab und betrachtete Klinge stirnrunzelnd genauer. »Du siehst ja furchtbar aus.«
    Klinge ließ den Blick durch das Zimmer wandern und rieb sich die kalten Arme. Linde schien friedlich in ihrer Wiege zu schlafen, doch Klinge beugte sich zu ihr hinunter und breitete vorsichtshalber noch eine zweite Decke über sie. »Weißt du, wo Dorna ist?«, fragte sie.
    »Ich glaube,

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