Rebellische Herzen
über die geschnitzte Lehne, bis seine Fingerspitzen dicht an Charlottes Schulter lagen, und er wandte ihr völlig arglos das Gesicht zu.
Charlotte schaute ihn nur aus dem Augenwinkel an. Sie nippte an ihrem Brandy- und erschauderte.
»Schreckliches Zeug, nicht wahr, Lady Miss Charlotte?«, sagte Wynter gedehnt. »Trotzdem trinken es Ihre Engländer bei jeder Gelegenheit in rauen Mengen.«
Charlotte nahm diesmal einen größeren Schluck und Adorna bemerkte, dass die beiden ein Stadium der Konfrontation erreicht hatten, in dem schweigend mit erhobenem Kinn und unnachgiebiger Haltung gekämpft wurde.
»Wynter, dein Kaffee müsste jeden Moment hier sein«, warf sie eilig ein. »Ihr beide werdet euch fragen, weshalb ich euch heute Abend zu mir gebeten habe.«
Das erregte ihre Aufmerksamkeit. Die Blicke beider richteten sich auf sie, messerscharf und wachsam.
»Ich muss zugeben, Charlotte, als ich Sie einstellte, habe ich meine Absichten nicht vollkommen preisgegeben. Der Benimm der Kinder braucht eine Ausbildung, aber das hat Zeit.« Adorna nahm nur einen einzigen Schluck, dann stellte sie ihren Schwenker auf dem Beistelltisch ab. »Wie Sie sicherlich bemerkt haben, ist es Wynter, der sich täglich in der Gesellschaft bewegen muss und der Unterweisung bedarf.«
Die Erkenntnis traf Wynter wie ein Schlag. Das also hatte seine Mutter vor. Er wusste, dass sie etwas ausheckte, aber das … Er fühlte, Wut in sich aufsteigen.
Aus Charlottes augenscheinlichem Widerwillen schloss er, dass sie von der Intrige seiner Mutter nichts gewusst hatte. Vielmehr starrte sie ihn an, als sei er ein Tiger, der zum tödlichen Sprung ansetzte. Er machte sich einen Spaß daraus, sie noch weiter zu ängstigen, indem er wirklich hungrig dreinschaute.
Sie sah weg. Ihre Gesten waren so gelöst, wie ihre Stimme ruhig. Sie nahm noch einen Schluck Brandy. »Ich verstehe Ihre Sorge wegen Lord Ruskins Betragen, jedoch glaube ich, dass ich für diese Aufgabe ungeeignet bin. Warum stellen Sie für ihn nicht einen Hauslehrer an?«
Charlottes eilfertiges Einverständnis, dass er Unterricht brauche, schürte Wynters Zorn noch mehr.
»Können Sie sich einen Mann vorstellen, der gewillt ist, sich von einem anderen Mann bevormunden zu lassen?«, gab Adorna zu bedenken. »Es würde niemals funktionieren.«
»Bei Jungen funktioniert es«, wendete Charlotte ein.
»Aber Wynter ist ein Mann. Sehen Sie nur, wie er reagiert, wenn Lord Bucknell die geringsten Verbesserungsvorschläge macht!«
Bucknell! Wynter prustete. Dieser aufgeblasene, steife, alte Opa!
»Sehen Sie?« Adorna gestikulierte in Richtung ihres Sohnes. »Gentlemen prusten nicht.«
Wynter prustete noch mal.
»Es gibt eine Vielzahl von Männerdomänen, von denen ich nichts verstehe – Clubs, Rennbahnen, oder das Herrenzimmer nach Tisch.« Charlotte lief der Brandy jetzt wesentlich leichter durch die Kehle und ihre Wangen gewannen an Farbe. »Wie könnte ich ihn erfolgreich unterweisen?«
Seine Mutter hatte sie fast schon überredet, dachte Wynter, denn Charlottes Stimme hatte bereits einen flehentlichen Unterton. Wie würde er sich dabei fühlen, wenn Charlotte ihm vorschrieb, was und wie er es zu tun hatte? Es hatte ihn eine Menge Kraft gekostet, seinen Stolz zu überwinden. Hätten seine Kinder nicht solch traurigen Gesichter gemacht, hätte er ihnen niemals erlaubt, sie auf die Terrasse zurückzuholen.
»Sie waren lang genug mit ihm zusammen, Charlotte, um zu wissen, dass seine Manieren nicht das eigentliche Problem sind.«
Adorna schien Charlotte eine gewisse Ungläubigkeit angesehen zu haben, denn sie fügte hinzu: »Oh, es gibt da natürlich ein paar Dinge, die der Korrektur bedürfen. Aber er ist in England aufgewachsen. Er wird sich an die Grundregeln erinnern.«
»Wenn dem so ist« – Charlotte wandte ihm ihren kühlen Blick zu –, »Wären seine endlosen Frechheiten nichts als der Versuch, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und dann fehlte es ihm eher an Disziplin als an einer Gouvernante.«
»Oder vielleicht« – Wynter sprach mit zusammengebissenen Zähnen – »braucht er jemanden, der ihm erklärt, weshalb einem der englische Adel ständig diese albernen Possen abverlangt.«
Adorna unterbrach, bevor sich die beiden weiter Beleidigungen an den Kopf warfen. »Liebe Charlotte! Sie müssen wissen, dass es die Feinheiten sind, die er nicht erfasst. Wie man sich kleidet -«
»Unbequem«, warf Wynter ein.
»- was man sagt und wann man es sagt. Er ist viel zu
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