Rebellische Herzen
Ahnengalerie. Die Galerie war weitläufig und düster und das passte gut in seine Pläne. Als er am Ende des Korridors ihren Rock flattern sah, bremste er und achtete darauf, dass seine nackten Füße kein Geräusch machten. Er wollte sie noch nicht erschrecken. Die Galerie lag um die Ecke.
Er war noch keiner Frau begegnet, die ihre Lebenslust so konsequent für ein Prinzip aufgegeben hatte. Er war noch keiner Frau begegnet, die dem, was sie für Recht hielt, so ergeben war. Er war noch keiner Frau begegnet, die ihn so aufs Blut gereizt hatte.
Er war noch keiner Frau begegnet, die er so begehrte.
Er sah sie durch den Wechsel aus Licht und Schatten laufen. Sie schritt würdevoll an den Wandleuchtern entlang. Charlotte vermittelte einen Eindruck von heiterer Gelassenheit, doch hinter ihrer gefassten Fassade lauerte eine leidenschaftliche Frau.
Sie wusste es nicht. Sie begriff nicht, welche unglaubliche Spannung zwischen ihnen vibrierte und das allein nahm ihn schon gefangen. Eine Frau ihres Alters konnte nicht vollkommen unberührt sein … nein, das konnte sie nicht.
Sie ging um die Ecke, auf die Gemäldegalerie zu und er legte einen Schritt ZU.
Er dachte niemals an sie, ohne sich auszumalen, wie sie ohne ihre bevorzugt blauen und rauchgrauen Kleider aussähe. Die Unterröcke müssten ebenfalls verschwinden, und das Korsett, auf das sie bestand, obwohl er ihr versichert hatte, dass sie es nicht benötigte.
Wie lange würde er brauchen, um ihren Widerstand zum Schmelzen zu bringen, sie entspannt in die Kissen zu betten, ihre Brüste zu enthüllen und die Haut hinab zu ihrem Bauch bis zwischen ihre Beine zu küssen? Welche Taktik musste er anwenden, um ihre Verängstigung zu lösen, sie ihre allgegenwärtigen Manieren und ihre angeborene Selbstbeherrschung vergessen zu machen? Würde sie sich gegen ihn wehren? Versuchen, sein Verlangen abzukühlen? Ihn tadeln?
Ja. Charlotte würde versuchen, mit ihrem zivilisierten Benehmen die primitiven Triebe niederzukämpfen. Schließlich hatte er das selbst versucht, als er in der Wüste lebte.
Es hatte nicht funktioniert. Der Gezähmte war den Wilden immer unterlegen.
Er bog um die Ecke und betrat die Gemäldegalerie. Obwohl der Ausgang direkt gegenüberlag, konnte er in der Dunkelheit und auf die Entfernung nur Umrisse erkennen. Aber er kannte, den Raum; er hatte sich seit seiner Kindheit nicht verändert. Stühle waren um die wenigen Tische gestellt. Kleine, selten benutzte Gästezimmer lagen hinter verschlossenen Türen. Die Wände des langen Saals, den das Kerzenlicht nie richtig erhellte, entzogen sich in der Düsternis dem Blick. Auf einer Seite hingen tief karmesinrote Samtvorhänge vor den hohen Fenstern. Auf der anderen Seite war die Wand vom Boden bis zur Decke mit Bildern voll gehängt. Männern auf ihren Pferden, Damen, die mit ihren Kindern posierten, und vertraute oder exotische Landschaften. Es gab sogar ein Portrait vom jungen Wynter und seinem Spaniel.
Einem empfindsamen Menschen hätte unheimlich zu Mute werden können unter so vielen prüfenden Blicken.
Charlotte durchquerte die Galerie völlig unbeeindruckt.
Bis Wynter ihr zu nahe kam. Sie spürte irgendwie seine Gegenwart und wirbelte mit abwehrend erhobenen Händen herum.
Er hielt sofort an, achtete sorgsam darauf, dass er ihr nicht zu rasch zu nahe trat. Er wollte sie nicht beunruhigen – noch nicht.
»Lady Miss Charlotte.« Er verneigte sich. »Ich habe Sie gesucht.«
Sie legte die Hand auf die Brust, als müsse sie ihr Herz im Zaum halten. Er hätte nur zu gern gedacht, dass sie elektrisiert war, ihn zu sehen, hielt es aber für wahrscheinlicher, dass er sie erschreckt hatte.
Sie klang ein wenig atemlos und sah verärgert aus. »Mylord, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
Wenn er ihr die Wahrheit sagte, würde sie ihn maßregeln. »Ich dachte, es wäre gut, wenn wir unsere nächsten Schritte ohne die einschränkende Anwesenheit meiner Mutter besprächen.«
»Unsere nächsten Schritte?« Charlotte klang alarmiert.
»Wo wir uns treffen, wie viel wir tun, wie lange wir zusammenbleiben sollten …« Verschreckt wie sie war, wurde er nachgiebiger. »Wegen des Unterrichts in englischem Benehmen, den Sie mir geben werden.«
»Oh!« Sie blickte auf die Gemälde, die die Wände bedeckten, als könnten die Bilder sie aus dieser misslichen Lage befreien. »Ich weiß, was Sie meinen.«
Er bot ihr seinen Arm an und sagte: »Sollen wir gehen?«
Offensichtlich wollte sie ihre Hand nicht auf
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