Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
erst recht als Vollidiot da.«
Rebus schwieg und wartete darauf, dass das Schachspiel, das in Caffertys Kopf abzulaufen schien, zu einem Ende käme.
»Okay«, sagte der Gangster schließlich, »ich pfeife die Truppen zurück. Vielleicht wär's sowieso an der Zeit, ein paar Rekruten anzuwerben.« Er sah Rebus an. »Zeit für frisches Blut.«
Was Rebus an eine andere Aufgabe erinnerte, die er schon die ganze Zeit vor sich herschob. Danny Simpson wohnte bei seiner Mutter in einem Reihenhaus in Wester Hailes.
Diese trostlose Wohnsiedlung - von Sadisten entworfen, die nie gezwungen gewesen waren, auch nur in deren weiterer Umgebung zu wohnen - besaß ein Herz, das fast völlig geschrumpft war, sich aber weigerte, sein Pumpen einzustellen. Rebus brachte dem Viertel eine tiefe Hochachtung entgegen. Tommy Smith war hier aufgewachsen und hatte Socken in sein Saxophon gestopft, um beim Üben die Nachbarn hinter den papierdünnen Wänden des Hochhauses nicht zu stören. Tommy Smith war einer der besten Saxophonspieler, die Rebus je gehört hatte.
In gewissem Sinn war Wester Hailes kein Teil der realen Welt: Es lag auf keiner Route von A nach B oder auch nur Y nach Z. Rebus hatte nie Veranlassung gehabt, da durchzufahren - er fuhr nur hin, wenn er dort etwas zu erledigen hatte. Die Umgehungsstraße führte daran vorbei und verhalf vielen Autofahrern zu ihrer einzigen Begegnung mit diesem Ort. Was sie sahen: Hochhäuser, Reihenhäuser, brachliegende primitive Sportplätze. Was sie nicht sahen: Menschen. Nicht so sehr Asphaltdschungel als Betonwüste.
Rebus klopfte an Danny Simpsons Tür. Er wusste nicht, was er dem jungen Mann sagen würde, wollte ihn nur wieder sehen. Er wollte ihn ohne das Blut und den Schmerz sehen. Wollte ihn gesund und heil sehen.
Wollte ihn einfach sehen.
Aber Danny Simpson war nicht da, ebenso wenig seine Mutter. Eine Nachbarin, der das obere Teil des Gebisses fehlte, kam heraus und erklärte ihm die Situation.
Die Situation führte Rebus ins Krankenhaus, wo Danny, auf einer kleinen, düsteren Station, die nicht leicht zu finden gewesen war, mit bandagiertem Kopf im Bett lag und schwitzte, als habe er gerade volle neunzig Minuten gespielt. Er war nicht bei Bewusstsein. Seine Mutter saß bei ihm und streichelte ihm das Handgelenk. Eine Krankenschwester erklärte Rebus, dass Danny in einem Hospiz am besten aufgehoben gewesen wäre - vorausgesetzt, sie konnten ihm ein Bett besorgen.
»Was ist passiert?«
»Wir glauben, dass es zu einer Infektion gekommen ist. Wenn man seine Abwehrkräfte verliert... wird die Welt zu einem lebensgefährlichen Ort.« Sie zuckte die Achseln, sah so aus, als habe sie das alles schon ein paar Mal zu oft erlebt. Dannys Mutter hatte beobachtet, wie sie miteinander geredet hatten. Vielleicht dachte sie, Rebus sei Arzt. Sie stand auf und kam auf ihn zu. Dann blieb sie einfach stehen und wartete darauf, dass er sie ansprach.
»Ich wollte Danny besuchen«, sagte er.
»Ja?«
»In der Nacht, als er... in der Nacht seines Unfalls, da war ich es, der ihn hergebracht hat. Ich wollte bloß wissen, wie es ihm geht.«
»Sehen Sie selbst.« Ihre Stimme versagte.
Rebus dachte: Ein Spaziergang von fünf Minuten, und er wäre in Sammys Zimmer. Er hatte geglaubt, ihre Situation sei etwas Besonderes, Einzigartiges, weil sie für ihn einzigartig war. Jetzt stellte er fest, dass gar nicht weit von Sammys Bett auch andere Eltern weinten und ihren Kindern die Hand hielten und fragten, warum.
»Es tut mir wirklich Leid«, sagte er. »Ich wünschte...«
»Ich auch«, sagte die Frau. »Wissen Sie, er ist nie ein schlechter Junge gewesen. Frech, aber nicht schlecht. Sein Problem war, dass er immer auf etwas Neues aus war, alles, damit es nur nicht langweilig wurde. Wir wissen alle, wohin das führen kann.«
Rebus nickte und wollte plötzlich ganz woanders sein, sich Danny Simpsons Lebensgeschichte nicht anhören müssen. Er hatte schon so genug Gespenster, deren er sich erwehren musste. Er drückte der Frau den Arm.
»Hören Sie«, sagte er, »es tut mir Leid, aber ich muss jetzt gehen.« Sie nickte geistesabwesend, wandte sich wieder zum Bett ihres Sohnes, ließ ihn stehen. Rebus hätte Danny Simpson wegen der bloßen Möglichkeit , dass er ihm das Virus angehängt hatte, verfluchen mögen. Jetzt wurde ihm bewusst, dass er, wenn er ihn zu Hause angetroffen hätte, genau das getan hätte - und dass es vielleicht gar nicht bei bloßen Worten geblieben wäre.
Er wollte ihn verfluchen...
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