Rechnung offen
gewesen, was er tat, er hatte nur ein paar Briefe hinter die kleine Standuhr geklemmt. Zwischen eine Van-de-Velde-Kanne und die Zuckerdose gestellt, in die freie Ecke des Bücherregals gelegt, sie in Schalen gesammelt. Ein kleiner Stapel lag auf dem Kühlschrank, ein anderer auf der Fensterbank im Wohnzimmer. Vermeidungsstrategie. An der großen Glasvase lehnten Umschläge, alles die falschen, er formte das Wort mit den Lippen. Vermeidungsstrategie. Stumpf geworden, zu oft gedacht, zu oft benutzt, zu oft erschreckt. Sag es laut. »Vermeidungsstrategie«, um es zu schärfen, zu schleifen, bis es dich wieder kalt macht, innehalten lässt. Seine Stimme im Wohnzimmer, im leeren Wohnzimmer, zurückgeworfen von Vitrine und Bücherregalen. Vergeblich, vergeblich in ihr, die Buchstaben nur Brocken, Vermeidungsstrategie.
Angst war dieses Wort gewesen, als er es das erste Mal dachte, ein angstweißes Stoppzeichen, beweg dich, hatte er gedacht und war stehen geblieben. Vor dem Esstisch. Lange hatte er dort gestanden, hatte Theresa in der Küche gehört, geh und sag es ihr gedacht, Vermeidungsstrategie. Benennen ist der Anfang, danach kommt Ändern, Benennen und Ändern, jeden Tag machst du das, geh in die Küche. Ich habe ein Problem. Vermeidungsstrategie. Das bedeuteten die drei Stapel auf dem dunklen Holz des Tisches, akkurate Stapel, Theresa hatte Ordnung geschaffen, hatte was auch immer kompensiert, alles beiseitegeräumt, gewischt, war jedes Regal einzeln durchgegangen, jede Schale, jeden Spalt, in dem etwas stecken konnte, hatte sie fein säuberlich aufgeschichtet, dreimal fünfzehn Zentimeter ungefähr, in Altweiß und Umweltbeige und meist mit einem Sichtfenster, in dem sein Name stand.
Er hatte sich an den Tisch gesetzt, war nicht in die Küche gegangen, hatte eine Liste gemacht, die Umschläge geöffnet, Stapel für Stapel, die Forderungen sortiert nach Priorität und Höhe, elftausendvierhunderteinundsiebzig Euro und sechsundfünfzig Cent, hatte die Kontonummern dazugeschrieben, die Adressen rausgesucht, um Ratenzahlung gebeten, jetzt hast du es hinter dir, hatte er gedacht, ein Mal ordentlich und es ist vorbei.
Die wirklich gefährlichen Umschläge nahm er seit einer Weile mit in die Praxis. Erst waren sie umweltfarben gewesen, das Berliner-Volksbank -Logo auf der Vorderseite neben der Briefmarke aufgedruckt. Claas hatte sie sorglos liegen gelassen, Werbung, dachte Theresa, wahrscheinlich, oder irgendwelche Abrechnungen. Dann waren sie weiß geworden, First-Manhattan-Group in schwarzumrandeten roten Buchstaben, ein Name, der auf billige Sweatshirts gehörte, die an Drehständern bei Discountketten hingen.
Seit einem halben Jahr waren die Umschläge gelb, hatten Felder auf der Vorderseite, die mit Kugelschreiber ausgefüllt werden mussten, Kästchen, in die Haken und Kreuze kamen, und unten eine unleserliche Unterschrift. Zwangsvollstreckung, angstweißes Wort.
Der Brief war nicht im Wohnzimmer, Claas ging ins Bad. Mittig über dem Spiegel hing eine grün lackierte Spantafel, ein Geschenk der Nachbarn zur Einweihung. Einen Tennisball hatten sie aufgeklebt, ein Netz aufgemalt, und ganz unten stand in Weiß Verliere nie Deinen Schwung . Ein Gutschein für einen Schläger war es gewesen, der Schläger war irgendwo im Keller, auf dem Ball war eine bräunliche Staubschicht, er würde der Putzfrau einen Zettel schreiben. Zwei große viereckige Waschbecken, für jeden eins, Theresa hatte darauf bestanden, ebenso auf das Bidet, »in Portugal gehört es dazu«, hatte sie gesagt, »so können wir uns zusammen fertigmachen«. Claas war nicht sicher gewesen, ob er das wollte, hatte genickt. Zu Hause hatte ein Pappschild mit einer Kordel an der Badezimmertür gehangen, einer goldenen Kordel, die gleiche Sorte, die über den Rücken der Speisekarten gebunden war. Das Schild war auf einer Seite grün und auf der anderen rot. Wenn man das Bad zu einem großen Geschäft benutzt hatte, wie seine Mutter sagte, wurde die Karte auf Rot gedreht. Er hatte oft vergessen, die Karte nach den vorgeschriebenen zwanzig Minuten wieder zurückzudrehen und das Fenster zu schließen.
Der Brief vom Ablesedienst klemmte am Rahmen des Garderobenspiegels. Die Unterseite der Pizza war am Rand verbrannt, Claas schnitt ihn ab, so gut es ging. Auf dem Esstisch lag Staub, seit Ebba ausgezogen war, benutzten sie ihn nur noch, wenn sie Gäste hatten, abends aßen sie im Stehen in der Küche oder im Schlafzimmer vor dem Fernseher. Claas nahm das Bündel
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