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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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mit den knisternden hellgelben Formulardurchschlägen, sie hatten eine Sammelaufstellung mitgeschickt, eine DIN -A3-Tabelle. Er klappte sie auseinander, legte sie auf den Tisch, fuhr mit der Handfläche drüber, um die Falz zu glätten.
    N. a. – nicht angetroffen stand hinter vielen Namen, auch hinter Ebbas. Jansen, Ebba, n. a. Über einen der Durchschläge hatte jemand quer keine Heizkörper geschrieben.
    Ebba ging nicht ran, weder auf dem Festnetz noch ans Handy. Er könnte später noch mal anrufen, 20:47 zeigte die Uhr auf dem Display, Claas wählte die Anrufeinstellungen aus, in anderthalb Stunden, Rufnummer unterdrücken , ja/nein, netzabhängig , wenn sie nicht mehr vermutete, dass er es war. Wenn sie sich beschwerte, behauptete er, sein Mobiltelefon würde dies bei bestimmten Netzen automatisch tun. Sie wussten beide, dass das nicht stimmte.
    Mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung, er war sich mit Theresa einig gewesen. Gäste hatten sie gehabt, Arbeitskollegen. »Eigentlich gehört zu jedem Teller ein Blätterteigstern«, Theresa hatte die Suppe hereingetragen, »aber die Sterne sind verschwunden. Auf geheimnisvolle Weise verschwunden«, sie hatte Ebba angesehen, auf den Brotkorb gedeutet, aufgeschnittene Scheiben Graubrot lagen darin. »Tut mir leid, das ist von gestern.« – »Das macht doch nichts«, alle hatten gelacht, hatten gerätselt, was aus den Sternen geworden war. »Sind zu Schnuppen geworden«, hatte jemand gesagt, »und davongeflogen.« Sie bemerkten es erst, als das erste Würgegeräusch ertönte, tief und kehlig. Ebba hatte zwei Finger in den Mund gesteckt, Zeige- und Mittelfinger, die restliche Hand zur Faust geballt. »Lass das.« Ebba hatte ruhig die Finger weiter hineingeschoben, seltsam obszön sah es aus, bis zu den Knöcheln, hatte laut aufgestoßen. Unvermittelt hatten sich ihre Lippen geöffnet, weit geöffnet, kurz sah sie aus wie ein Vogeljunges, das auf Nahrung wartet. Ihr Kehlkopf hob sich, eine hellrosa Flüssigkeit, säuerlich, intensiv nach Erdbeeren riechend, gelbliche Bröckchen darin, brach aus ihr hervor. Ergoss sich aufs Tischtuch, auf den Untersetzteller, streifte das Weinglas, hinterließ dort einen tropfenförmigen Fleck. »Da sind sie«, hatte Ebba gesagt, ein Speichelfaden hing zwischen Zeigefinger und Unterlippe, »mit Trinkjoghurt.«
    Ebba erinnerte ihn an seine Mutter. Claas konnte sie nicht ansehen, ohne an violette Adern zu denken, die sich bis an die durchsichtige Oberfläche faustdicker Wangen gekämpft hatten. Die Waden seiner Mutter waren dick wie Oberschenkel gewesen, ihre Hüfte so breit, dass sie den Durchgang zur Küche seitwärts hatte passieren müssen. Die Tabletts hatten nie gezittert, einerlei, ob vier Halbe oder fünf auf ihnen standen. Ruhig und gleichmäßig waren sie durch den Gastraum geschwebt, seltsam losgelöst von ihren gereizten Blicken und den kurzen harten Hüftschwüngen. Wie konnte aus einer zierlichen, schwarzhaarigen Frau wie Theresa ein blondes, breithüftiges, pfannkuchengesichtiges Kind erwachsen. Er verabscheute es, Ebba beim Essen gegenüberzusitzen. Wenn sie mit ihren dicken, kurzen Fingern, den runtergekauten Nägeln mit dem Besteck hantierte, musste er unvermeidlich an die Nachmittage denken, an denen er seine Hausaufgaben unten erledigt hatte. An die breiten roten Finger seiner Mutter, die gleichförmig Besteck rollten. Messer und Gabel mittig auf eine Serviette legten, die Serviette mittig falteten, die Enden um die Griffe wickelten und das gerollte Besteck über Kreuz auf einem Tablett stapelten.
    Sie hatten das bearbeitet. Erst mit Martin, dann mit anderen Kollegen, Familie, Einzel, Gruppe, verschiedene verhaltenstherapeutische Ansätze, am Ende hatte Claas sogar in eine Analyse eingewilligt. Liebe lässt sich nicht erzwingen, Respekt und positive Kommunikation hatte er in der letzten Sitzung als Ziel und Wunsch formuliert.
    ***
    »Dann gießen wir die Blumen«, sagte Theresa, wartete nicht, bis Lela »jetzt« fragte, drehte sich um und ging die dunkle Auffahrt hinauf. Gab acht, nicht auf die Feigen zu treten, die auf dem Schotter faulten. Die Fliegen schliefen, tagsüber stoben sie auf, flogen gegen ihre Beine, ließen sich wieder nieder, sobald sie vorbei war. Der Schotter knirschte unter ihren Latschen, wie Zähne, große gelbe Backenzähne stellte Theresa sich vor, spitzkantig und kariös, die aneinander rieben, einander zermahlten bei jedem Schritt.
    Nicht einmal eine Grille, dachte sie, der Feigenbaum ein

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