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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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stummer Schatten, die Eidechsen starr, eilten nicht durchs fahle Gras, über trocken knisternde Blätter. Theresa griff nach dem Eimer, sie hatte ihn abgestellt auf der obersten Stufe der Treppe, die vom Vorhof hinab zur Auffahrt führte. Hatte ihn abgestellt, als sie der kleinen Gestalt, der Morgenmantel sehr weiß im Dunkel, auf die knirschenden Zähne gefolgt war. Der Metallbügel bog sich, als sie den Eimer anhob, Wasser schwappte über den Rand. Sie hörte es auf den Schotter klatschen, kalt lief es ihre Schienbeine hinab, rann über die Knöchel, in die Latschen hinein. Die kleine Gestalt hatte sich nicht bewegt, stand immer noch am Ende der Auffahrt und sah in das orangefarbene Licht der Straßenlaterne.
    Theresa atmete tief ein, ihre Knöchel angenehm kühl, sie roch die Feigen, süß und dumpf. »Er ist weg«, rief sie dem weißen Rücken zu, der Rücken rührte sich nicht. »Mama«, sagte sie. Ihre Latschen waren glitschig, sie rutschte darin, ihre Zehen krümmten sich, versuchten sich festzukrallen, der Eimerbügel würde einen roten Strich in ihrer Handfläche hinterlassen. Endlich drehte die weiße Gestalt den Kopf, Lela hatte aufgehört, ihre Haare zu färben, sie waren weiß am Ansatz, nur die Spitzen waren noch schwarz.
    »Die Blumen?«, Lela sah hinab auf den Eimer, das schwappende Wasser, betrachtete die hellen Fingerknöchel, die den Metallbügel hielten.
    »Komm«, sagte Theresa, »sie bellen nicht mehr«, und deutete mit dem Kopf hinter sich, in Richtung Haus. Die Hunde reckten die Schnauzen über das Gatter, liefen unruhig hin und her, tack, tack, tack machten die Krallen auf den Patiofliesen, klangen, als wären sie aus Plastik. »Ich gieße hier und du oben«, Theresa hob den Eimer, fasste mit einer Hand unter den Boden und kippte einen breiten Strahl auf die Wurzeln der Rosen.
    Dem ersten Strauch gab sie zu viel Wasser, wollte nicht diskutieren, goss so lange, bis Lela ging. Beim nächsten war sie sparsamer, wollte nicht zurück über die Backenzähne, in den Vorhof, zum Hahn. Sie zielte genau, roch die harte Erde, die sich langsam mit Wasser vollsog. Ihre Knöchel waren wieder trocken, sie schwitzte, und keine Luftbewegung kühlte den Schweiß. »Die Hunde würden nicht bellen, wenn niemand da wäre«, Lela stand bei den Treppenstufen, die Arme um den Oberkörper geschlungen.
    Theresa hob den Eimer.
    Sie hatte reglos gelegen, das Laken unter ihr nass, das andere, das als Bettdecke diente, zusammengeknüllt am Fußende. Sie hatte es von ihren Beinen geschüttelt, mit den Sohlen dort hinabgetreten. Hatte auf dem Rücken gelegen, nackt, kein Luftzug auf ihren Schenkeln, ihrem Bauch, ihren Brüsten. Hatte gefühlt, wie ihre Hände sich zusammenzogen, die Fingernägel Halbmonde in ihre Hand pressten, den Kopf von der Tür abgewandt. Hatte die Augen geschlossen, wenn es still war, die Nägel tiefer gegraben, wenn Lela wieder anfing. Hatte es mit dem Kopfkissen versucht, eine Gesichtshälfte in die Matratze gedrückt, auf der anderen das Kissen. Der Schweiß war über ihre Wangen gelaufen, zu den Nasenflügeln, sie hatte ihn mit dem Handgelenk abgewischt, hatte das Kopfkissen auf die Erde geworfen, war zu träge gewesen, es wieder aufzuheben. Wenn sie die Finger in die Ohren steckte, verschwand das krampfartige Luftholen im flachen Rauschen, mit dem das Blut durch ihre wärmegeweiteten Adern strömte. Nur die Höhen waren noch zu hören, langgezogene Töne, die den dunklen Flur hinter der offenen Zimmertür füllten. Theresa zog die Finger immer wieder ein wenig aus den Ohren, zuerst, um sicherzugehen, dass es nicht aufgehört hatte. Schob die Finger tiefer in die Muscheln, das Rauschen wurde lauter, das Wimmern leiser, zog sie ein wenig hervor, Rauschen leiser, Wimmern lauter. Sie begann, die Töne zu modulieren, versuchte einen Rhythmus, lang, kurz, kurz, fühlte Ohrenschmalz unter den Nägeln, versuchte, kurz, lang, lang. Du musst rübergehen, dachte sie. Moos, dachte sie.
    War erleichtert gewesen, als die Hunde bellten. Hart und abgehackt erst, unsicher noch, dann plötzlich schneller, Knurren dazwischen, immer wieder Knurren, und dann explodierten die harten Töne. Sie hatte das Gatter im Vorhof gehört, das Metall, das in den Angeln schwankte, weil einer der Hunde dagegengesprungen war. »Sscht«, sagte sie leise.
    »Jede Nacht«, hatte Lela in ihrem nackten Rücken gesagt. Theresa hatte durch den Türspion gesehen, die Hände rechts und links aufs Holz gelegt. »Ich sehe nichts«, sie hatte

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