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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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gleich raus«, sagte es zur Wand und rührte sich nicht mehr.
    Die Platanenblätter waren sonnenbeschienen, unbewegt vor bläulich grauen Wolken, die sich über den Dächern der anderen Straßenseite ineinanderstauchten. Ebba setzte sich auf die Fensterbank, die Zimmertür ließ sie offen, wartete auf die Schritte im Flur der Nachbarwohnung. Die Dielen im Treppenhaus knarrten, wenn das Mädchen sich bewegte, wir warten gemeinsam, dachte sie, warten auf das Gleiche, ich hier drin und sie da draußen. Es hätte klingeln können, das Mädchen, vielleicht hatten sie vereinbart, dass er die alte Frau vorbereitete und sie dann hereinbat.
    Sie hatte ihn auf der Treppe getroffen, vier Mal. Hatte ihn kommen sehen, roter Scheitelstrich zwischen hellem Blond, hatte gewartet, bis die alte Frau ihn hereinbat. Hatte sich fertiggemacht und war nach unten gegangen, zu den Briefkästen. Sobald sie ihn oder Frau Stremls Stimme wieder im Treppenhaus hörte, die Alte verabschiedete ihn immer in mehreren Anläufen, hatte sie sich auf den Weg nach oben gemacht. »Hallo«, sagte er dann und machte Platz.
    Vom Einkaufen war sie gekommen, als er unten auf der Bank saß. Nicht allein, mit dem dunkelhaarigen Mädchen, neben ihr auf der Lehne, Füße auf die Sitzfläche, Ellbogen auf die Knie gestützt. Er hatte zu Boden gesehen und genickt.
    Sobald Ebba oben angekommen war, war sie auf den Balkon gegangen, seine Turnschuhe hatte sie sehen können, ein Stück seiner Jeansbeine zwischen den Platanenblättern, nicht mehr. Der kurze Augenblick, wenn sie der Wind bewegte und eine Lücke entstand, die mehr freigab, reichte nicht, um festzustellen, ob sich die Position der Gliedmaßen und Gesichter zueinander veränderte. Sie hatte Lachen gehört, war nicht sicher, ob es das Mädchen war. Dunkel war es, als die beiden die Promenade überquerten, in Richtung Karlsstraße gingen.
    Ebba sah zur Wand, dahinter war der helle, langgezogene Ton einer ungeölten Türzarge zu hören, Schritte auf den Dielen. Wenn sie direkt an der Mauer stand, konnte sie auch die Vibration im Holz spüren.
    »Bei Appelts, im Tuchlager hinten im Hof, neben der Werkstatt. Bei ihnen in der Wohnung waren die Schlesier, einquartiert. Acht Mann, Großeltern, Schwiegertochter und fünf Kinder, die Marken machen nichts wett, hat Frau Appelt gesagt.« Langsam bewegten sich die Schritte hinter der Wand vorwärts, Ebba wusste genau, wo sie gerade standen, Frau Streml redete unentwegt, von ihm kein Laut, vielleicht nickte er. »Später habe ich möbliert gewohnt, auf Etage«, fuhr sie fort, »die Wirtin wohnte Parterre, und alle mussten bei ihr klingeln, zehn Reichsmark Strafe zahlen, wenn man ohne sich anzumelden ins Zimmer ging. Sie hat dann ihre Brille aufgesetzt und sich vorgebeugt, so«, Frau Streml machte eine kurze Pause, wahrscheinlich machte sie ihm vor, wie sich die Wirtin vorgebeugt hatte, »rechts und links an mir vorbei hat sie in den Hausflur gesehen. ›Keine Kerle in meinen Zimmern‹, hat sie gesagt. Am Anfang durfte Erika kommen. Ich hatte eine Heizplatte auf der Fensterbank, Malzkaffee haben wir gemacht. Hat sie dann auch verboten, wo sei denn da der Unterschied, hat sie gesagt.« Sie waren an der Tür angelangt. »Vielen Dank für den Tee«, hörte Ebba ihn sagen, »und die Wichtel.« Sie hörte die Wohnungstür, die Sicherheitskette klapperte, das Mädchen hatte sich nicht gerührt, musste noch auf der Treppe sitzen. »Blaugrau war es, als ich eingezogen bin, ist dann immer heller geworden, bis es so war wie die Tauben draußen, wie das Gefieder. Dann haben sie es hellgelb lackiert.« Frau Streml schien vom Treppengeländer zu sprechen, unvermittelt unterbrach sie sich. »Da sitzt jemand.« Die Stufen knarrten, das Mädchen musste aufgestanden sein, einen Moment war es still, nicht bewegen, dachte Ebba und wartete auf seine Reaktion, aber es blieb still. »Hellgelb war es dann«, hörte sie schließlich die alte Frau, »da gehörte das Haus noch den Sauers, und später wurde es dann dunkelbraun, dass es wie poliertes Holz aussah, war aber nur brauner Lack.« Er hatte ihr das Mädchen nicht vorgestellt, keine Schritte auf den Stufen, das Mädchen musste stumm auf der Treppe stehen, und die Alte sprach weiter.
    ***
    Claas roch ihn, bevor er ihn sah, Alkohol durch Poren ausgedünstet, vermischt mit feuchtem Schweiß, Rauchpartikel. So hatten die Stämme gerochen, wenn sie zur Sperrstunde nach Hause geschickt wurden, er tastete nach seinem Schlüssel, wechselte die

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