Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
Vom Netzwerk:
Die Treppe war voller Menschen, sie kamen dir entgegen, ein Wall sich eilig beugender Knie. Hast ihnen ins Gesicht gesehen, als wäre dein Körper, Hals, Schultern, Brustbein, plötzlich aus einem anderen Material, dichter, fester, stark genug, um ihren Blicken standzuhalten. Um sie vor dir herzuschieben wie eine Bugwelle, durch sie hindurchzupflügen.
    ***
    Die Treppe war mit grauem Linoleum ausgelegt, das Geländer aus Holz, Gründerzeit, mit gedrechselten Blumen verziert, die Linien weich von den Lackschichten. Brandenburger stand auf dem Klingelschild, Marc Brandenburger . Claas kannte den Namen von den Abrechnungen der Hausverwaltung, k . Z . hatte meist dahinter gestanden, er hatte gezuckt, als er das Kürzel das erste Mal las, es bedeutete keine Zahlung . Die Hausverwaltung hatte auf Räumung geklagt. Der Beklagte sei nicht vor Gericht erschienen, schrieben sie, die mit der Räumung beauftragte Firma habe die Wohnung aufgebrochen, sie sei leer gewesen, bis auf einen defekten Kühlschrank, nicht verwertbar. Die Kosten beliefen sich auf tausendzweihundert Euro, Claas hatte die Praxismiete verspätet zahlen müssen.
    Am Kühlschrank hatte ein Zettel geklebt, die Hausverwaltung hatte ihn mit der Rechnung geschickt, ein karierter Zettel mit ausgefransten Kanten, als hätte Brandenburger ihn aus einem Collegeblock ausgerissen, SORRY stand dort. Wenn Claas nachts wach lag, sah er manchmal die eigenen Finger, mit dem Ehering, der Narbe, sah ihnen zu, wie sie jeden einzelnen Buchstaben in einen Mund stopften, feucht von fremdem Speichel, der Fäden zog zwischen den Fingern und verfärbten Zähnen. Und den Mund zum Kauen, zum Schlucken zwangen. Brandenburger war an einem Stuhl festgebunden, wurde ihm unangenehm bewusst, die Handgelenke hinter der Lehne, die Knöchel an den Stuhlbeinen, wie im Fernsehen, so prügelten sie in Filmen Informationen aus jemandem raus, er wollte nur seine Miete. Die ihm zustand, auf die er ein Recht hatte.
    Er betätigte den Lichtschalter im Flur, nichts, Scheiße, dachte er, ging vorsichtig weiter, am Ende des Flurs stand eine Tür offen, an der Wand neben dem Rahmen leuchtete ein Kippschalter grünlich in der Dunkelheit. Der Strom war nicht abgestellt.
    Die Wände im Flur, im Wohnzimmer, waren mintgrün, in den Ecken gräulich verfärbt, Claas zog Luft ein, tief ein, die Wände rochen nach Rauch, nach Resignation, dünsteten sie aus, hatten sie aufgesogen, gespeichert, all die Jahre, gaben sie wieder ab, wie Schimmelsporen, ein unsichtbarer Vorhang aus Partikeln in der Luft, die sich einnisten würden, wachsen würden, wo sie die richtigen Bedingungen fanden.
    Claas streckte den Arm aus, wollte fühlen, ob sie nass waren, die Wände, legte die Hand auf die Raufaser. Die Oberfläche gab sanft nach unter seinen Fingern, die Wand war weich. Er erhöhte den Druck, die Kuppen sanken ein, fünf Mulden, Dellen in der Wand, er drückte weiter, bis seine Hand wie eine Klaue aussah, die äußersten Fingerglieder angezogen, waagerecht. Bis er fühlte, dass seine Nägel das Papier durchbrachen, Weißes drängte an den Kanten hervor. Er zog die Finger zusammen, schob Mintgrünes in Falten, Styroporkügelchen wirbelten auf, helle Fasern.
    Unter der Tapete klebte eine Schicht Styropor auf dem Putz, zur Isolierung, Claas musste an einen Schwamm denken. Er zog das Schlüsselbund aus der Tasche, ratschte vier Längs-, und vier Querstriche in die Wohnzimmerwand, der Schlüsselbart glitt durch das Papier, holperte auf dem Mauerwerk, er zog ihn die Zimmerseite entlang, zog ihn am ausgestreckten Arm hinter sich her, um die Ecke, der Bart machte einen Satz zwischen die Fenster, wieder einen Satz und um die Ecke, die nächste Wand entlang, Claas lauschte dem Reißen des Papiers, Metall kratzte auf Putz, er dachte an Schulweg, an Buchsbaumhecken, an Stöcke und Gartenzäune. An der Tür blieb er stehen, hüfthoch der Riss, nun mach auch fertig, dachte er und zog den Schlüssel bis zum Anfang. Der Raum sah aus, als hätte er ihn in der Mitte durchgeschnitten.
    Er packte den Laptop aus, Ebba hatte WLAN , er bekam mehrere Netzwerke angezeigt, wusste nicht, welches ihres war, alle waren passwortgeschützt.
    *
    Ebba hielt die Augen geschlossen, presste die Lider fester aufeinander, als die Klingel erneut ertönte. Sie hatte einen Fehler gemacht, den Fernseher auf stumm gestellt, als der Misston das erste Mal schrillte. Unvermittelt keine Geräusche ist auffälliger als Geräusche, dachte sie. Niemand da, wollte sie

Weitere Kostenlose Bücher