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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Wannenrand, unterdrückte den Impuls, ihn gleich wieder zurückzuziehen. Die Hitze ließ sie die Luft anhalten, stumm begann sie, Sekunden zu zählen. Bei zehn tauchte sie den Fuß weiter ein, nach einer Weile zog sie den anderen nach.
    Sie hatte nicht auf den Saum des Kleides geachtet, weiß mit schwarzem Zebramuster, er schwamm auf der Oberfläche, Chiffon, so leicht, dass er nicht unterging. Sie raffte den Stoff mit der Hand zusammen, heiße Tropfen liefen ihre Beine hinab, der ist hin, dachte sie, tastete mit der anderen Hand nach den Knöpfen am Rücken. Versuchte sie durch die Ösen zu schieben, vergeblich, »egal«, sie sagte es laut, ihre Stimme wurde von den Fliesen zurückgeworfen. Wütend hockte sie sich hin, wartete, bis die Haut sich an die Temperatur gewöhnt hatte, der Chiffon hatte sich vollgesogen, ging schwebend unter.
    Der Stoff folgte verzögert ihren Bewegungen, strich die Beine entlang, in Zeitlupe, als habe er einen eigenen Willen, eine eigene Geschwindigkeit, langsamer als ihre. Die Wellen setzten sich im Gewebe fort, »schön«, sagte sie leise, nicht käuflich, holte tief Luft und ließ sich unter Wasser gleiten.
    Sie lag in einer Kapsel, hörte das Blut in den Ohren, entfernte Laute schwappender Flüssigkeit, Fruchtwasser, dachte sie, Mutterleib. An den sanften Fisch in ihrem Inneren, der zu Ebba geworden war. Sie spreizte die Arme ab, stieß gegen die Wannenwände, kalt und hart und kunststoffglatt. In einer Bar hatte sie Claas kennengelernt, er hatte vor ihr in der Schlange am Tresen gestanden. »Wo kommst du her«, hatte er gefragt, seine Bierflasche genommen, gewartet, bis sie einen Weißwein bestellt hatte. »Tavira, Portugal.« – »Was gibt es dort«, hatte er gefragt. »Salz«, hatte sie geantwortet und von den weißen Ringen in den Blumentöpfen erzählt, von der Wäsche, die die Finger stumpf und klebrig machte, wenn der Wind auf den Küchenbalkon stand, wo sie an der Leine trocknete.
    Theresa drückte sich mit den Füßen an der Wanne ab, schob sich bis zu den Schultern über die Oberfläche. Wasser rann an ihr herab, ein warmer Strom über Stirn, Augenlider, Nase, Kinn, lief aus ihren Haaren, presste sie glatt an ihren Schädel, in ihren Mund, als sie ihn öffnete, um hastig Luft einzusaugen.
    Sie wischte über ihr Gesicht, die rollenden Tropfen zur Seite, die Augen frei, schwärzliche Partikel schwammen in den Senken und Linien ihrer Handflächen. Wimperntusche, Lidschatten, Theresa streckte den Arm nach dem Handtuch aus, wischte dunkle Streifen in das eierschalenfarbene Frottee.
    Sie hatte vergessen, die Badezimmertür zu schließen, konnte die Kommode sehen, belgisch, siebzehntes Jahrhundert, »der Dampf schadet dem Furnier«, hörte sie Claas’ Stimme sagen.
    Vergnügt hatte er das Befremden registriert, mit dem sich seine Eltern in der ersten Berliner Wohnung umgesehen hatten. Die hochgezogenen Schultern, als sie sich in die Freischwingersessel setzten, ihre Mäntel wollten sie anbehalten. Seine Mutter hatte die Esszimmerlampe mit dem Finger angetippt, die grünlichen Kristallelemente waren minutenlang klirrend aneinandergestoßen. Sie waren ohne Blumen, Brot, Salz gekommen, wie Claas später betonte, waren auf dem Weg zu Verwandten gewesen. »Schade, dass Ebba schläft«, hatte Claas zum Abschied gesagt und gelächelt, »vielleicht fahrt ihr irgendwann noch mal nach Dresden.« Exklusiv habe für seine Eltern bedeutet, in der Möbelabteilung von Karstadt das Teuerste zu wählen, sagte er oft. Die wüssten nicht einmal, was das ist, sagte er und hielt irgendetwas hoch.
    Die Nachbarn hatten Bemerkungen gemacht, wegen der Pakete, wenn Theresa sie im Hausflur traf. Die Putzfrau hatte sich beschwert, über das Staubwischen, »das Glas schaffe ich gar nicht«, hatte sie gesagt.
    In den ersten Jahren in Deutschland hatte Theresa das grau lackierte Gatter vor Augen gehabt, wenn Claas wir sollten einander nicht im Weg stehen sagte, die Stäbe bildeten in der Mitte drei Rauten, oder Ebba: Ich hasse dich.
    *
    Die ist nie wieder bewohnbar, dachte Claas. Wenn dich jetzt jemand sehen könnte, dachte er, Styroporkugeln in den Haaren, Putz und alter Kleister unter den Fingernägeln, auf den Händen, graubraun in jeder Falte. Ein frischer Fleck feuchtkalt auf der Wange, Tapetenstreifen, hellgrau und mintfarben auf seinem Pullover. Sie ließen sich abziehen wie Aufkleber. Wenn dich jetzt jemand sehen könnte, klingeln würde, ein Nachbar, der nachsehen kam, wegen der ungewohnten

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