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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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frühstücken, Fersen auf der Fensterbank, die Beine übereinandergeschlagen, eine Schale Müsli mit Joghurt in der Hand. Abends trug er den Stuhl ins Zimmer, stellte ihn neben die Isomatte, legte die noch saubere Kleidung auf die Sitzfläche, die Hemden hängte er über die Lehne. Morgens nahm er ihn mit, wenn er den Kaffee aufsetzen ging. Das aufgerissene Polster hatte er repariert, den Schaumstoff wieder reingedrückt, Paketband, Streifen neben Streifen, drübergeklebt, es knisterte, wenn er sich setzte.
    Claas nahm den benutzten Kaffeefilter aus der neuen Maschine, sechzehn neunundneunzig, bei einem Discounter gekauft, er wollte nach Charlottenburg fahren, ein paar Sachen holen. Er löffelte Pulver in den neuen, hatte überlegt anzurufen, sich anzukündigen, Theresa um eine Aussprache zu bitten. Die Krumen, die danebengingen, sammelte er mit der Fingerkuppe auf und tat sie zu den anderen. Er hatte sich dagegen entschieden, goss Wasser in den Behälter, es war ebenso seine Wohnung, der Anschalter leuchtete rot auf.
    Er öffnete das Fenster, öffnete es weit, wochentags liefen Kinder über die Promenade, alle in eine Richtung, zur Grundschule am Ende der Straße, viele rannten, vereinzelt waren Mütter unter ihnen, zertraten die Rindenstreifen unter ihren Schuhen. In großen Placken fielen sie von den Platanenstämmen, das bloße Holz gelb und feucht. Die Blätter waren nass vom Regen, der in den frühen Morgenstunden gefallen war. Claas hatte den Tropfen zugehört, die auf die Blätter schlugen, nachgedacht, wie der Regen klang. Hatte die Augen geschlossen, wollte sie erst wieder öffnen, wenn er das Geräusch beschreiben konnte. Gleichmäßig und geduldig, hatte er schließlich entschieden.
    Das Wasser stieg Blasen werfend in der Kaffeemaschine hoch, er war aufgestanden, als es dämmerte, hatte sich unter die Dusche gestellt, bis seine Finger aufquollen, die Kuppen betrachtet. Rau und schrumpelig, er hatte versucht, sich vorzustellen, wie sie über Theresas Haut strichen.
    Der Luftzug stieß den Messinggriff immer wieder gegen die Wand, Claas zog den Stuhl heran, klemmte den Fensterflügel mit der Lehne fest und setzte sich. Er fühlte die Kälte, streckte ihr Wangen, Stirn, Kinn entgegen, die Kälte war körperlos, nicht durch die Luftströmung entstanden, und seltsam ernst. Sie wusch ihn, so fühlte es sich an, wusch die Trägheit aus den Falten und Vertiefungen seines Gesichts, die Haut zog sich zusammen, straffte sich, wurde fest. Er sah auf die Uhr, halb neun, Theresa stand jetzt vor ihrem Waschbecken in anschmiegsamer Wärme zwischen lasergeloteten Fugen, mit bloßen Füßen auf wohltemperierten Kacheln, die Adern geweitet. Sie verteilte irgendeine Creme auf ihrem Gesicht, ihr Handtuch hing akkurat gefaltet über dem Trockengestänge. Theresa putzte Zähne, mit dem Bauch an die Waschbeckenkante gelehnt, hielt ihr Gesicht dicht vor den Spiegel, untersuchte eine kleine Rötung auf der Wange. Zuvor hatte sie versucht, den tropfenden Wasserhahn zuzudrehen, vergeblich, war mit dem Finger über die gelbliche Kalkablagerung neben dem Ausguss gefahren, als wollte sie mit den Nägeln Streifen hineinkratzen. Das tat sie jeden Morgen, »erinnere mich an den Klempner«, sagte sie, er antwortete meist nicht einmal.
    Seit Claas die Espressomaschine gekauft hatte, machte jeder seinen Kaffee selbst, vorher hatte Theresa die Maschine angestellt, ehe sie ins Bad kam, und er hatte beim Zähneputzen dem Schlürfen zugehört, mit dem sie das Wasser ansaugte, in den Filter pumpte, die danebengelaufenen Tropfen hatten auf der Heizplatte gezischt.
    Die Kaffeetasse stellte er auf die Fensterbank, Dampf stieg auf, die Scheibe beschlug tropfenförmig. Er hatte einen Nachsendeantrag gestellt. Telefon und Internet angemeldet, sechs Wochen, hatte der Techniker gesagt. Dann bin ich nicht mehr hier, hatte Claas gedacht, dennoch genickt. Er akzeptierte die Situation nicht nur, er gestaltete sie. Er hatte der Abonnenten-Hotline seine neue Adresse mitgeteilt, Theresa würde sich melden, wenn sie die Tageszeitung vermisste.
    Eigentlich hatte er am Wochenende tapezieren und streichen wollen. Die Sonne schien herein, Lichtstreifen auf den nackten Wänden, dem Putz waren Farbpigmente beigemischt, Ockergelb, Sienarot, zerlöchert und mit Kratzspuren. Die Wände sahen aus wie restaurierungsbedürftige Fresken, eine fast verblasste Marschlandschaft, römisch vielleicht. Die Marschlandschaft wurde eingerahmt von weißen geometrischen Putzstreifen,

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