Rechnung offen
Treppenabsatz zwischen erstem und zweitem Stock. Der Mann ging auf die Erdgeschosswohnung zu. Schmidtke, n. A., das geht dich gar nichts an. Halt, einen Augenblick, wollte Claas sagen. Der Mann klopfte, zwei Mal schnell hintereinander, dann noch einmal nach einer kurzen Pause. Wartete einen Moment und klopfte erneut, zwei Mal schnell hintereinander und dann noch einmal. Er war sehr klein, fast wie ein Kind, sein Kopf, ein großes dunkles Ei über schmalen T-Shirt-Schultern, war von einem sich schwarz kräuselnden Haarflaum bedeckt. Vielleicht bemerkte er den Schatten, eine Bewegung im Augenwinkel. Sein Körper zuckte zurück, strebte nach hinten, als würde jeder Muskel ihn wegziehen, vor der Gefahr auf der halben Treppe, gegen die Wand, in die Wand, nur weg, nur Angst, die Augen große weiße Angstringe um dunkle Pupillen. Der Mann sah zur Tür, die Treppe hinauf, wieder zur Tür. In der einen Hand hielt er eine Einkaufstüte, die andere war noch in der Luft, wenige Zentimeter vom Holz entfernt.
»Jansen«, sagte Claas, »einen Moment«, er ging auf die Stufen zu, ein Toastbrot ragte aus der Tüte, die Etiketten zweier Cola-Flaschen zeichneten sich durchs Plastik ab. »Ich bin der Hauseigentümer. Vermieter, verstehen Sie?«
»Habib, Habib«, schrie der Mann, schmal wie ein Kind, es klang wie ein Vogelruf. »Habib, Habib.«
So flehentlich, dass Claas die Treppe wieder hochging, rückwärts, zurück zum Fenster auf den Absatz zwischen erstem und zweitem Stock. Die Hand in der Luft öffnete sich, Claas konnte die hellrosa Handfläche sehen, ehe sie gegen das Holz schlug. Die Tür ging so plötzlich auf, dass sie beide erschraken.
»What’s wrong with you«, die Stimme tief, sehr ruhig, er war größer als der andere, breitschultrig, Musik drang aus dem Flur dahinter. Der Schmale deutete die Treppe hinauf.
»Jansen«, wiederholte Claas und stieg die Stufen hinab, »könnte ich Herrn Schmidtke … «
»Herr Schmidtke ist nicht da. Ich bin zuständig, Sie können mit mir sprechen.« Der Lange lehnte sich gegen den Türrahmen, der Schmale hob die Tüten auf und ging rasch hinein.
Claas blieb auf der letzten Stufe stehen.
»Wegen der Heizkostenabrechnung, Sie haben nicht gezahlt.«
»Wir haben keine.«
»Was?«
»Heizung.«
Die Dreistigkeit ließ Claas auflachen, »das geht gar nicht«, sagte er.
Der Lange sah hinter sich, schien nachzudenken, schließlich winkte er in den Flur, Claas konnte hören, dass eine Tür geschlossen wurde. Der Lange trat zur Seite, gab den Weg frei, hinter ihm standen zwei weitere Männer.
»Kommen Sie rein«, sagte er, »sehen Sie selbst.«
Still, auf einmal war es still, Claas konnte seine Schritte auf den Dielen hören, jemand hatte die Musik ausgemacht. Zwei Fahrräder lehnten an der Wand, neu und teuer.
»Draußen«, sagte der Lange, »wird alles geklaut.«
Direkt hinter der Tür kam links das Bad, schmal wie ein Flur, ein kleines Waschbecken hing an der Wand, am Ende stand die Toilette, Claas konnte Wasser laufen hören, ein Rinnsal, unablässig, der Spülkasten war kaputt. Die nächste Tür zu seiner Linken war geschlossen, die beiden anderen Männer standen davor, Hände in den Hosentaschen, Ellbogen breit, irgendein elektrisches Gerät vibrierte leise dahinter, die Küche vermutete er.
Claas wandte sich nach rechts, da stand eine Tür offen, in dem Raum war Dämmerlicht, die Jalousien heruntergelassen, zwei helle Lichtpunkte an den Enden jeder Lamelle, wo die Schnüre durchliefen. In der Mitte saßen zwei Lamellen nicht richtig aufeinander, durch eine ganze Reihe winziger heller Vierecke, sie sahen aus wie der durchbrochene Mittelstreifen einer Straße, fielen Lichtstäbe, in denen Staubpartikel kreisten.
Der Lange griff an ihm vorbei, Claas wich zurück, schämte sich sogleich, drückte die Knie durch, der Lange griff an ihm vorbei und betätigte den Lichtschalter.
Auf dem Fußboden lagen Isomatten, sieben zählte Claas im ersten Zimmer, drei pink, zwei lila, zwei schwarz, wie seine, ebenso auf dem Boden, er musste endlich eine Matratze kaufen, sie brauchten eh ein neues Ersatzgästebett, das aufblasbare hatte Ebba verloren. In der Mitte war ein Gang, zwischen den Matten schmale Streifen Dielenboden, ochsenblutrot, Cola-Dosen standen dort, Zigarettenkippen und Asche um die Trinköffnungen verteilt, ein Handy sah er, eine angebrochene Packung Kekse, Socken. Auf den Matten lagen braunkarierte Wolldecken, die Männer schienen mit den Köpfen zur Wand zu schlafen, dort
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