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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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strich mit der Handfläche die Bettdecke glatt. »Man muss sie schreien lassen«, hatte Erika gesagt. Elsa hatte es bereits in der Nacht gehört, leiser noch, sie war aufgewacht, zur Toilette gegangen.
    Ihres war blau.
    »Im Krieg haben die Frauen in Luftschutzkellern entbunden, inmitten der Druckwellen, die die Umsitzenden hin und her warfen«, sagt Erika und schiebt den Tisch in die Mitte der Küche. »In Hauseingängen, Straßengräben, wenn sie auf der Flucht waren. In Regen und Schnee. Ein Kochlöffel zwischen den Zähnen, wenn niemand es mitkriegen durfte.« Erika gießt klare Flüssigkeit aus einer Glasflasche auf einen Lappen und reibt die Tischplatte ab. »Steril«, sagt sie, »hab ich aus der Klinik«, und hält ihr den orangen Gummiverschluss hin. Erika breitet ein blaues Tuch über der Platte aus. Ihr Unterleib krampft sich zusammen, ihr Rücken.
    »Ich kann das nicht«, sagt sie und legt die Hände auf ihren Bauch, presst sie gegen die harte Wölbung, als könnte sie es drinhalten, aufhalten.
    »Hör das Schluchzen auf«, Erika zieht einen Stuhl ans Kopfende des Tisches, stellt ihre Tasche daneben. »Du musst auf die Toilette«, sagt Erika, »vorher. Richtig zur Toilette. Der Darm wird unter der Geburt zusammengepresst, und das ist ein bakterieller Ernstfall.« Nimmt sie am Ellbogen und führt sie ins Bad, hält ihre Unterarme, während Elsa langsam die Knie beugt, sich hinhockt, bis sie kalt die Klobrille an ihren Oberschenkeln fühlt.
    »Geh«, sagt sie, und Erika stellt sich vor die angelehnte Tür, ihr Rücken, die hellblaue Bluse im Türspalt. Sie könne einen Einlauf vorbereiten, hört sie Erika sagen. Ihr Bauch wird hart von der nächsten Wehe, in Panik presst sie, »halt deine Ohren zu«, schreit sie den Rücken an.
    Erika reicht ihr einen feuchten Lappen, als sie fertig ist, hilft ihr beim Auskleiden. Das Hemd hat Erika besorgt, sie zieht es ihr über den Kopf, führt ihre Hände durch die Armlöcher. Es ist aus weißer Baumwolle, fällt lose an ihr herab, trotz des Bauches, berührt beinahe den Boden.
    »Jetzt bist du fein«, sagt Erika und nimmt ihren Ellbogen, schiebt sie langsam durch den Flur, zum Küchentisch.
    Ihr Atem geht schnell und hoch, als stünde sie wieder in einer der Zinkwannen im Heim und würde mit kaltem Wasser übergossen.
    Elsa schlug die Bettdecke zurück, das Baby greinte noch immer. So lange schreien sie nur, wenn sie Hunger haben, dachte sie. Sie würde in die Küche gehen, tastete mit den Zehen über den Boden, ihre Hausschuhe lagen vor dem Bett, sie würde in die Küche gehen und den Kehrbesen holen. Sie sah zum Fenster, na warte, dachte sie. Sie würde den Schnee vom Brett schieben, er würde auf den Bürgersteig fallen, zwei Stockwerke tief. Das Greinen wurde lauter.
    Ihr Bauch wird hart, ihr Körper krampft sich zusammen, ein harter Klumpen, tief in ihrem Becken, ihrem Steiß, eine feste Klammer um ihre Lenden.
    »Hol es raus«, schreit sie.
    »Ruhig«, sagt Erika.
    Die Wehen sind Berge, Schmerzberge, die in ihr anschwellen, wachsen, sich auftürmen, und über die muss sie rüber. Mit einer Spitze, wenn sie denkt, es geht nicht mehr höher, und einem Hang dahinter, der abfällt, den sie hinuntertrudelt, wenn der Schmerz in ihr schrumpft.
    »Nicht pressen, atmen«, sagt Erika und sitzt zwischen ihren aufragenden Knien. Erikas Hände machen irgendwas zwischen den aufgestellten Beinen, »die Wehen wegatmen«, sagt Erika und lächelt.
    Ein Berg lässt sich nicht wegatmen, will sie schreien, ihre Hände tasten auf der Tischplatte, fahren durch die Luft, suchen nach irgendwas Hartem, Schwerem, um die Finger drum zu schließen, es nach Erika zu werfen.
    »Mach, dass es aufhört«, schreit sie. Der Klumpen bewegt sich, wie ein riesiger Pfropfen, der sich langsam löst, vorwärtsgleitet, als hätte sie Verstopfung, ein Kürbis in den Eingeweiden, der rausmuss.
    »Jetzt pressen«, sagt Erika.
    Und dann ist es vorbei. Die Erleichterung flutet sie mit einer warmen Welle, die durch sie hindurchfließt, die Reste der Berge mitreißt, ihren ausgeweideten Unterleib umspielt. Sie hebt sacht die beiseitegesunkenen Beine, eine sanfte Brandung, die das Blut vom Tisch wäscht, die Nachgeburt, sie kann das Klatschen hören, mit dem der Klumpen auf den Dielen aufschlägt. Es ist vorbei. Sie weint, zu erschöpft, um den Kopf zu drehen, nach Erika zu sehen. Erika steht bei der Spüle, legt etwas Metallenes ins Becken. Die Welle brandet, schwappt zurück, und wieder vor, wiegt sie, schlafen

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