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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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noch mal umzusehen. Claas stand auf, streckte den Kopf aus der Tür, sie stieg drei Wagen weiter wieder ein. Er könnte hinter ihr hergehen, so leicht wirst du mich nicht los sagen, und dass sie lernen müsse, Hilfe anzunehmen. Sie hatte ihre Mütze vergessen, sie lag hellblau auf dem Polster. Claas ließ sie dort, setzte sich auf die gegenüberliegende Bank. Wenn Ebba seine Hilfe nicht wollte, er würde sich nicht aufdrängen.
    ***
    Der Flur ist lang und schmal, Tür an Tür, dazwischen grün-weiße Notausgangschilder, Rauchen-verboten-Schilder, Feuerlöscher. WC D und WC H in schwarzen Buchstaben, Schilder mit Duschköpfen, auch D und H . Findest die richtige Nummer, steckst den Schlüssel ins Schloss, der zerkratzte Messinganhänger schlägt gegen das Holz, als du sie öffnest. Noch eine Kammer, denkst du und lächelst. Nicht viel breiter als das Fenster an der Wand gegenüber, rechts ein Einbauschrank, links das Bett, am Fußende ein Tisch mit einem Röhrenfernseher, Fernbedienung gegen Gebühr an der Rezeption auf einem gelbverfärbten Plastikschild. Am Fenster steht ein Stuhl, die Gardinen sind aufgezogen.
    Am Busbahnhof hast du gefragt, wohin der Nächste fährt.
    »Prag.«
    »Tschechisch«, fragst du.
    Der Mann hinter dem Schalter nickt, »Hin- und Rückfahrt?«
    Könntest nach Prag fahren.
    »Und danach?«
    Er zieht die Augenbrauen hoch.
    »München, der Langsame. Der Express ist schon weg, der fährt direkt.«
    »Gut«, hast du gesagt, »nur hin.«
    Hast dich auf den Fensterplatz bei den hinteren Türen gesetzt, die Tasche auf den Nachbarsitz gestellt, der Bus wurde nicht mal halbvoll. Rentner mit Zeitschriften und Sudokuheften, Broten und Apfelschnitzen in Tupperboxen, Thermoskannen, Küchenpapier, an dem sie sich die Finger abwischten. Über dem Fahrersitz war eine Digitaluhr, hast den roten Balken zugesehen, wie sie sich zu neuen Zahlen zusammensetzten. Lucas war noch in der Schule, könntest es noch zurück schaffen, hast du gedacht. Hast an die hellen Flecke, das wattige Vlies mit den Krümeln gedacht, dein Körper in Seitenlage, ein Kissen auf dem Gesicht. Hinter dir haben sie hartgekochte Eier gepellt, hast den T-Shirt-Kragen über die Nase gezogen, es roch nach Schwefel. Hast immer, wenn ein Halt angesagt wurde, könntest aussteigen gedacht, den Taschenriemen fest in der Hand.
    Irgendwann, es war bereits dunkel, habt ihr neben dem hell erleuchteten Schild einer Arztpraxis gehalten. Ringsherum flache Bungalows, auch die weiß gestrichen. Dunkel nur ein Streifen Bürgersteig, vom Schnee freigeräumt und mit Sand bestreut. Bist zum Ausgang gegangen, die Jacke in der einen Hand, Tasche in der anderen.
    Der Teppich, lilabraunes Fleckenmuster, sieht aus, als wäre er zu groß für den Raum, zieht sich ein Stück die Wände hoch, endet erst an einer goldenen Leiste auf Höhe deiner Waden. Als wäre er gewachsen, als würde der Grundriss für ihn nicht ausreichen, so dass er sich die Wände hochschieben musste, bis sie ihn mit der goldenen Leiste gestoppt hatten.
    Trittst vorsichtig drauf, gehst zum Fenster, stellst die Tasche auf den Stuhl. Betrachtest das Mehrfamilienhaus gegenüber, Blumen in weißen Übertopfen an den Fenstern, dahinter Gardinen, lachsfarben und blau-weiß. Ziehst die Vorhänge zu, die Matratze gibt nach, als du dich auf die Bettkante setzt. Feuchte dunkle Flecken und Streusand auf dem Lila, Abdrücke deiner Schuhe, du ziehst sie nicht aus, lässt deinen Oberkörper seitlich aufs Bett fallen. Bist nicht sicher, ob du die Tür hinter dir zugemacht hast, müsstest die Ellbogen aufstützen, dich nach vorne beugen, um nachzusehen. Hast immer noch die Jacke an, schiebst das Kopfkissen zur Seite, das Laken sehr glatt, riecht süßlich, denkst an Gleitcremetuben.
    Vor dem Bett sind längliche dunkle Striche in den Teppich eingebrannt, fühlst sie, wenn du die Hand hinunterhängen lässt, die Fasern zu schwarzen Klumpen verschmolzen.

Montag, 1. Dezember
    Die Glocken läuteten acht Uhr, Elsa wandte den Kopf, sah nach draußen, der Himmel war blau und klar. Der Schnee hat die Erinnerungen geschluckt, mehrere Zentimeter hoch lag er auf der Fensterbank. Hat sie eingesogen, sich einverleibt, jede Nacht schwoll er weiter an. Quoll auf. In weichen Bögen, still und friedlich, als würde er gerade verdauen, lag er morgens vor der Scheibe. Glitzerte, wenn die Sonne auf ihn schien. Wie der künstliche Tau im Serail, im Triumphzug der Aida.
    Ein Baby quengelte, irgendwo im Haus, tief unter ihr. Elsa

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