Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)
für die Unantastbarkeit verbal eingegangener Verpflichtungen zu streiten.
Alle anderen im Gerichtssaal Anwesenden möchten, dass Shylock auf die Buße verzichtet. Freilich glaubt auch keiner der dort Anwesenden, deren Verhalten getestet wurde, mit Shylock an die Unverbrüchlichkeit verbaler Verpflichtungen. Zum Beispiel borgt sich Bassanio von Antonio freudig so viel, wie dessen nach Vermittlung tendierende Freundschaft gestattet, und zahlt seine Schulden dann nicht zurück. Noch während der Verhandlung scheinen er und Graziano gerne bereit zu sein, ihre neuen Bräute für Antonios Freiheit in Tausch zu geben. Und beim Prozess nicht zugegen, sondern in Belmont wartend, ist Lorenzo, der Shylocks Schuldverschreibung gewiss nicht freundlich gesinnt ist und durch seine Vermittlung seine neue Braut von ihren familiären Verpflichtungen und seinen neuen Schwiegervater von einem Teil seines Vermögens befreit hat.
Wie bereits erwähnt, gehört das Eintreten Dritter zwischen Parteien, die einander nahestehen, aber offenbar unfähig sind, ihre Angelegenheiten ohne Vermittlung zur regeln, zu den Strukturelementen des Stücks. Die Abhängigkeit der Venezianer von Vermittlung wird im Stück durch ihre zweifelhafte Einstellung gegenüber dem Schwur reflektiert. Denn der Schwur markiert den Augenblick, in dem Vermittlung endet und die Einzelperson einer anderen gegenüber direkt verantwortlich wird. Der Angriff auf Shylock vor Gericht stellt damit auch einen Angriff auf verbal eingegangene Verpflichtungen und also auf eine unvermittelte Einstellung gegenüber menschlichen Engagements dar. Und Porzias Sieg bei dieser Gelegenheit, der auch den Triumph Antonios und der Venezianer markiert, weist gleichzeitig die Konjunktur für salopp gebrochene Versprechen aus, den leichtfertigen Verstoß gegen den heiligen Schwur.
Es gibt kein besseres Symbol für diese Vermittlung als Antonio, den Gewinner des Prozesses. Im ersten Aufzug ermöglichte seine Vermittlung Bassanio, Shylocks Kapital zu verwenden, für das Bassanios Bonität ansonsten nie attraktiv gewesen wäre. Während des Prozesses bietet er sich selbst als »angestecktes Schaf der Herde,/Zum Tod am tauglichsten« ( IV -1, 114-115) an. Seine der Vermittlung dienende Darstellung als Opfer, als Opferlamm, wird andere stärken. Doch der Prozess hat das Ergebnis, dass Antonios Leben und damit auch das, wofür es als Symbol steht, erhalten bleibt: der Sieg der Vermittlung über die Verpflichtung. Denn es ist Antonio,nicht Porzia, der in der Wiedergutmachungsphase des Verfahrens darauf besteht, dass Shylock seinen jüdischen Glauben aufgibt und damit auch den Glauben an direktes Handeln und das Einhalten von Schwüren.
Teil des Vorgehens von Vermittlern ist die Entwertung der Sprache. Vor Gericht zeigt sich dies am nachlässigen Reden des Venezianers, das später noch erörtert werden soll. Shylock, andererseits, will seine Worte nicht billiger verkaufen, denn für den überzeugten Versprechensgeber ist Sparsamkeit der Gefühle ein Wesensmerkmal. Seine Weigerung, die Fragen des Dogen zu beantworten – sein Bestehen auf der Schuldverschreibung, dem Recht, der Gerechtigkeit – führt letztlich zu Shylocks Ruin, doch auch die Kosten vermittelter Prosa werden deutlich. So provozieren Bassanio und Graziano einander vor Gericht, indem sie zu Antonios Rettung ihre Frauen anbieten. Shylock, mutmaßlich auf dem Höhepunkt seines Rachedursts, ergreift die Gelegenheit, um diese Rhetorik in einem herrlichen Aparte zu kommentieren: »So sind die Christenmänner« ( IV -1, 294). Er ist an dieser Stelle weniger gewaltsam und besessen, als wir erwarten würden. Vielmehr zeigt seine klarsichtige Analyse von Bassanio und Graziano, dass nachlässiges Reden, insbesondere wenn es im Zusammenhang mit ehrwürdigen Verpflichtungen verwendet wird, eine vermittelte Weltsicht versinnbildlicht und die Unantastbarkeit wertvoller Beziehungen bedroht.
Allgemein hat Shylock bereits seine Hochachtung vor Ehegelübden geäußert. Jessica und ihr Christenmann haben sich mit Shylocks Eigentum verdrückt. Doch der Verlust, der ihn am meisten schmerzt, ist der von Leas Ring: »[Ich] hätte ihn nicht für einen Wald von Affen weggegeben« ( III -1, 108), sagt der angeblich habgierige Geldverleiher, als er von dem leichtfertigen Verkauf des Paars erfährt. An dieser Stelle, wie später vor Gericht, offenbart Shylock seine Loyalität gegenüber der Ehe und ihrem ehrwürdigen Symbol, dem Ring. Wie Christenmänner dazu
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