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Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Weisberg
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zurückgreifen.
    Die Struktur der Vermittlung geht in gewisser Weise ihrer ersten Erwähnung in der dritten Szene des ersten Aufzugs voraus, auch wenn das Beispiel relativ belanglos ist. In der ersten Szene sieht man, wie Bassanio mehrere der anderen Freunde Antonios ersetzt, die nicht in der Lage waren, den Kaufmann aufzuheitern. Auch wenn Bassanios Vermittlung an dieser Stelle den trübsinnigen Antonio nicht direkt aufmuntern kann, führt der Plan des jungen Mannes, Porzias Reichtum zu erlangen, zumindest zur Bereitschaft Antonios, für dieses Unterfangen seine Kreditwürdigkeit einzusetzen. So wurde der komische Handlungsstrang bereits mit Vermittlung in Verbindung gebracht, bevor die dritte Szene des ersten Aufzugs beginnt. Doch entspricht das Umfeld weniger der in der traditionellen Kritik betonten Idealisierung von Großzügigkeit als einer beunruhigenden Verantwortungslosigkeit.
    Paradigmatisch für die Unfähigkeit der Figurenpaare, auch nur miteinander zu kommunizieren, beginnt die Szene mit Bassanio, der sich recht planlos mit Shylock unterhält (I-3). Obwohl die flüssigen Mittel des Letzteren ihm alles bringen sollen, was sein Herz (und seine Brieftasche) begehrt, kann Bassanio mit dem Geldverleiher buchstäblich nicht verhandeln. Shylock, der dies bemerkt, schafft es, bis zur Ankunft Antonios nichts von Bedeutung zu sagen. Die Erfahrung hat Shylock ein akutes Bewusstsein dafür gegeben (was er im Stück immer wieder zeigt), wie vermittelt Christen sich verhalten. Daher zeigt er erst beim Auftritt des Vermittlers seine übliche Aufmerksamkeit und verbale Stärke. Seine scharfe, direkte Intelligenz steht im Wettstreit mit der Eleganz und dem Lebensüberdruss des christlichen Kaufmanns. Er hat dies schon oft getan; und auch wenn er es jetzt noch nicht wissen kann, wird er sich bald in öffentlicher Verhandlung mit einer noch würdigeren Gegnerin, Porzia, messen müssen.
    In seiner typisch direkten Art lässt Shylock uns wissen, was er von Antonios Art christlicher Vermittlung denkt, und beendet sein Aparte mit einem gegen sich selbst gerichteten Schwur:
    Er haßt mein heilig Volk und schilt selbst da,
    Wo alle Kaufmannschaft zusammenkommt
    Mich, mein Geschäft und rechtlichen Gewinn,
    Den er nur Wucher nennt. Verflucht mein Stamm,
    Wenn ich ihm je vergebe! ( I -3, 45-49)
    Für Shylock stellen Worte eine unvermittelte Verbindung zu seinen Gedanken her: anders als bei den anderen (männlichen) christlichen Figuren ist seine Rede im Allgemeinen direkt, wörtlich gemeint, präzis. Einen derartigen Schwur zu Lasten seines ganzen Volks legt er nicht leichten Herzens ab. Auch wenn der Schwur mehr als hundert Zeilen vor der Formulierung von Antonios Schuldverschreibung stattfindet, ist er damit untrennbar verknüpft. Tatsächlich ist es in dieser Szene der einzige von Shylock abgelegte Schwur; nur Antonio muss die Schuldverschreibung besiegeln (Zeilen 141, 149, 167), da Shylocks Auftritt beim Notar erst bei Übergabe des 3000-Dukaten-Darlehens erfolgt. Aber durch seinen früheren Schwur verpflichtet Shylock sich und seinen Stamm auf Antonios Niedergang, und die Schuldverschreibung gibt ihm die Waffe in die Hand.
    Später ratifiziert und bekräftigt Shylock seinen Schwur, Antonio nicht zu vergeben. In der dritten Szene des dritten Aufzugs, als alle Schiffe des Kaufmanns gescheitert sind und Jessica für einen Affen den Ring verkauft, den ihre Mutter ihrem Vater gegeben hatte, warnt Shylock Antonio vor: »Ich tat ’nen Eid, auf meinen Schein zu dringen«, sagt er dem Kaufmann. Dieser Satz bedeutet buchstäblich, dass Shylock sich geschworen hat, auf der vereinbarten Buße zu bestehen. Und auch vor Gericht bestätigt er dies zwei Mal, wobei er die frommen Bilder des ersten Schwurs wieder aufnimmt:
    Bei unserm heilgen Sabbat schwor ich es,
    Zu fordern, was nach meinem Schein mir zusteht. ( IV -1, 36-37)
    Ein Eid! Ein Eid! ich hab ’nen Eid im Himmel.
    Soll ich auf meine Seele Meineid laden? ( IV -1, 227-228)
    So werden im ersten Aufzug zwei förmliche Verpflichtungen geschaffen: Antonios besiegelte Schuldverschreibung und Shylocks davon getrennter Schwur, dem Kaufmann nicht zu vergeben. Als dessen Schiffe scheitern und niemand die 3000 Dukaten fristgerecht vorlegt, bekräftigt Shylock den Schwur: Auf Antonios Schuldverschreibung samt der vereinbarten Buße darf nicht verzichtet werden. Nicht gewillt, ein Versprechen zu brechen, dessen Wortlaut Shylock und sein Volk bindet, tritt der Geldverleiher vor Gericht auf, um

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