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Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Weisberg
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mustert. Wie kann er wagen, sich noch einmal zwischen Bassanio und die Personen zu stellen, denen Bassanio verpflichtet ist? Ist es möglich, dass Porzia den abscheulichen Schachzug Antonios nicht begreift, weg vom Geschäft, bei dem er seinen Freund schützte, hin zur zutiefst persönlichen Ebene der Vermittlung zwischen Bassanio und ihr selbst? Das ist zu viel für sie, und nach diesen guten fünfzehn Sekunden spricht sie die ironischsten Worte des Stückes aus:
    So seid denn Ihr sein Bürge. (V-1, 273)
    Die rechtliche Beziehung, die Antonio zu Beginn des Stückes als geschäftliche Angelegenheit aufgenommen hat, droht nun, die persönlichste aller menschlichen Beziehungen zu vermitteln. Porzia, die ihrer eigenen Prozesstaktiken für die Vermittler müde ist, will davon nichts wissen. Für Bassanio ist es an der Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen. Für das Paar ist es an der Zeit, ungehindert, ohne Einmischung Dritter, ihre Ehe zu vollziehen.
    Auf der Insel Belmont ist Verpflichtung an die Stelle von Komödie getreten. Porzia, immer noch Shakespeares porte-parole , hat ihren Anspruch auf die nicht vermittelte Haltung durch ihre Verteidigung von Schwüren und Ringen und ihre Ablehnung von Antonio und von allem, wofür er steht, angemeldet. Die Prozessszene und ihr direktes Nachspiel (bei dem die verkleidete Porzia den abträglichen Einfluss von Antonios Einmischung auf den Treuebegriff ihres Mannes beobachtet) haben Antonio bei Porzia nicht gerade beliebt gemacht. Doch vielleicht bis zu diesem Augenblick kann sie ihre Abneigung gegen Antonio nicht offen zeigen oder ihre zunehmende Erkenntnis formulieren, dass diese Art der Vermittlung alles bedroht, was sie sich wünscht, alles, was sie in Ehren hält. Tatsächlich kommt hier alles zusammen – ihre Wahrnehmung Antonios am Ende des Prozesses und im Begriff, Bassanio zum Verschenken seines Eherings zu überreden, und nun diese letzte, fast tödliche Kränkung ihrer Ehe –, um der scharfsichtigen Porzia ihre totale Abscheu gegen Vermittlung klarzumachen. Endlich von den männlichen Vermittlungsunternehmen der väterlichen Eheanbahnung und von der Verkleidung im Gericht befreit, spricht Porzia nun für sich selbst und steht zu ihren Überzeugungen.
    Ich bin überzeugt, dass wir uns auf Belmont eine Welt ausmalen können, in der Antonio keine weitere Rolle mehr spielt. Porzia ist am Ende des Stücks darauf vorbereitet, ihren Besitz mit der ganzen Kraft von Shylocks Direktheit und im Dienste von Shylocks Weltsicht zu verwalten. Für Porzia sind Vermittlung, Billigkeitsrecht, Eidbruch nichts weiter als Ablenkungsmanöver. Was sie will, ist Unmittelbarkeit, Zeit allein mit ihrem Mann, die Gewissheit, dass er loyal zu ihr steht, dass er auf ewig den ehelichen Schwur und den Ring, Symbol dieses Schwurs, in Ehren hält.
    Aus epistemologischer Sicht heißt das, dass in Der Kaufmann von Venedig am Ende jüdische Pflicht über christliche Vermittlung den Sieg davonträgt. Bildersprachlich gefasst, tritt der Zirkel ehelicher Loyalität an die Stelle des Kreuzes konstanter Sünde und Vergebung. Juristisch gesprochen, geht Recht über Billigkeit, und die Urkunde gewinnt wieder die Oberhand.
    Es versteht sich von selbst, dass der fünfte Aufzug mit einem erheblichen Risiko für die Reaktion des Komödienpublikums verbunden ist. Unser Sinn für Ironie wurde wieder geweckt, und ausgerechnet die Nemesis der Komödie schärft unsere ethische Sensibilität. Porzias Verhalten führt uns weg von den vorherigen, komödiantischen Werten von Spiel, Vermittlung, Musik und ethischer Bequemlichkeit. Porzias Ablehnung der Bürgschaft, ihr Verbot, einen Schwur zu brechen – all dies hört sich allzu sehr wie eine Ratifizierung der Ansichten des gerade noch unterlegenen Schurken an.
    Doch statt diese Vieldeutigkeit zu glätten, macht Shakespeare sie direkt am Ende des Stücks noch tiefer. Porzia erzählt Lorenzo von seinem unverhofften, von Shylock herrührenden Glück, eine Nachricht, die von Jessicas frisch gebackenem Ehemann als »Manna Hungrigen/In ihren Weg [gestreut]« begrüßt wird. Dass Shylocks Reichtum als etwas für die Christen Essbares verstanden wird, verstärkt die ironische Verbindung zwischen ihnen und dem angeblich habgierigen Juden. Nicht nur nähren biblische Bilder der Juden christliche Rhetorik, nein, jüdische Substanz füttert christlichen Hunger. Die »Art der Gnade« ist in Wirklichkeit gefräßig. Dank Porzias Vermittlung im Prozess wurde Antonios Pfund Fleisch

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